Einsteins großer Wurf
Was zeichnet eine erfolgreiche physikalische Theorie aus? Wie kann die Entwicklung einer solchen spannend nacherzählt werden? Die Antwort gibt Pedro Ferreira, Professor für Astrophysik an der University of Oxford, in seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch "Die perfekte Theorie". Ferreira erzählt dort die Geschichte der allgemeinen Relativitätstheorie, angefangen von ihrer erstaunlichen Entstehung über die frühen Irritationen, die sie unter Physikern hervorrief, über ihre experimentelle Bestätigung bis hin zu ihrer heutigen und künftigen Bedeutung. Zwar versucht er dabei zentrale physikalische Ideen zu veranschaulichen, doch im Wesentlichen geht es ihm um die Menschen hinter der Theorie.
Am Beginn steht die Entdeckung durch den Physiker Albert Einstein (1879-1955). Sein Ziel war es, die scheinbare Unvereinbarkeit der newtonschen Bewegungsgesetze und der maxwellschen Gleichungen des Elektromagnetismus zu überwinden. Dies gelang ihm mit der speziellen Relativitätstheorie. Darin werden Raum und Zeit nicht mehr getrennt und als absolute Größen betrachtet, sondern zu einer "Raumzeit" zusammengefasst. Doch Einstein erkannte, dass der Entwurf nicht vollständig war, da er die Schwerkraft nicht berücksichtigte. Durch eine Verallgemeinerung der Theorie gelang es ihm, Gravitation mittels der Raumzeitgeometrie zu beschreiben. Eine entscheidende Idee dabei kam dem Physiker während der Arbeit im Berner Patentamt. Mit kaum mehr als Papier und Stift führte er ein Gedankenexperiment durch: "Wenn sich eine Person im freien Fall befindet, dann spürt sie ihr eigenes Gewicht nicht". Ferreira macht klar, dass Einsteins Genialität in seiner physikalischen Intuition lag – ein Gespür, das ihn allerdings später auch öfters irren ließ.
Schreiben in wildfremder Sprache
Einstein war klar, dass er zum Ausformulieren seiner Theorie "eine neue Art von Sprache brauchte". Hierfür musste er die relativ neue Differentialgeometrie durchdringen und anwenden können. Ferreira vergleicht das Unterfangen damit, ohne Vorkenntnisse das altindische Sanskrit zu lernen und dann einen Roman in dieser Sprache zu schreiben. Die ersten experimentellen Belege für die allgemeine Relativitätstheorie lieferte 1919 der Astrophysiker Arthur Eddington (1882-1944), indem er die darin vorhergesagte Ablenkung von Lichtstrahlen durch die Sonne nachwies. Später wurde allerdings bezweifelt, dass seine damaligen Beobachtungen genau genug dafür waren.
In den folgenden Passagen umreißt Ferreira, wie führende Physiker darum rangen, Einsteins Ideen zu durchdringen und ihre Konsequenzen zu erkennen. Unter anderem geht es um den russischen Physiker Alexander Friedmann (1888-1925), der auf Grundlage der einsteinschen Gleichungen die Möglichkeit eines dynamisch veränderlichen Universums herleitete. Auch der belgische Priester und Wissenschaftler Georges Lemaître (1894-1966) wird vorgestellt, der 1927 wohl als Erster die Grundzüge eines expandierenden Kosmos ausarbeitete und somit entscheidende Impulse zur späteren Urknalltheorie lieferte.
Kuriose Masseansammlungen
Weiterhin geht aus der allgemeinen Relativitätstheorie die Existenz Schwarzer Löcher hervor, denen sich ein weiterer Schwerpunkt im Buch widmet. Nachdem die Physiker Robert Oppenheimer (1904-1967) und Hartland Snyder (1913-1962) solche Objekte bereits 1939 beschreiben konnten, brach das Interesse an den "Massemonstern" in den 1940er und 1950er Jahren zunächst ab. Ihre Eigenschaften erschienen vielen – auch Einstein selbst – als zu kurios. Erst mit dem Physiker John Archibald Wheeler (1911-2008), der Schwarzen Löchern ihren Namen gab, nahm die Schwarzlochphysik wieder Fahrt auf, wie Ferreira schreibt.
Das Buch beleuchtet noch viele weitere Physiker und den Einfluss der allgemeinen Relativitätstheorie auf ihre Arbeiten: Steven Hawking und Roger Penrose (Singularitäten-Theorem, Informationsparadoxon und Urknalltheorie), James Peebles (Standardmodell der Kosmologie mit dunkler Energie und Materie), Bruce DeWitt (Verhältnis der Relativitäts- zur Quantentheorie) und Joseph Weber (Experimente zu Gravitationswellen). Den Bemühungen, Relativitätstheorie und Quantenmechanik zu vereinen, etwa in der Stringtheorie, geht Ferreira im letzten Teil seines Buchs nach.
Alles in allem erzählt Ferreira eine umfassende Geschichte der allgemeinen Relativitätstheorie, die den Lesern viel Wissenswertes bietet. Obwohl er auf eine Vermittlung der eigentlichen Physik fast vollständig verzichtet, schafft er es, das Publikum mit seiner offenkundigen Leidenschaft für das Thema anzustecken. Allerdings kann man angesichts der vielen Exkurse zu wichtigen Persönlichkeiten bisweilen den Überblick verlieren. Zudem stören die häufigen Superlativ-Formulierungen. Davon abgesehen geht das Lesen meist mühelos voran, zumal die Übersetzung aus dem Englischen erfreulich gut gelungen ist.
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