»Die Psycho-Industrie«: Jahrmarkt der Seelenkunde
Wer mit dem Finger auf andere zeigt, ist fein raus. Denn was immer er kritisiert, wird kaum ihn selbst betreffen. Diesen mäßig originellen Kniff wendet auch Diana Pflichthofer in »Die Psycho-Industrie« an.
Die Autorin ist Psychoanalytikerin in Soltau bei Hamburg und entlarvt prominente Vertreter der Psychobranche, darunter Stefanie Stahl, Leon Windscheid oder Eckart von Hirschhausen, die, so Pflichthofer, therapeutische Konzepte trivialisieren, Betroffene vorführen oder bequeme »Tools« fürs Seelenwohl präsentieren. Was die Autorin im Einzelnen moniert, wirkt allerdings oft etwas gesucht.
Stahl etwa, »Deutschlands bekannteste Psychologin«, verweist in ihrem Bestseller »Wer wir sind« unter anderem auf eine Studie an Säuglingen, die ihre bindungsgestörten Mütter vermehrt anlächelten, weil deren Zuwendung für sie überlebenswichtig sei. Pflichthofer merkt an, dass so kleine Kinder nicht selten sogar Fremde anlächeln und auch noch keine Glaubenssätze (»Sonst lande ich im Mülleimer!«) verinnerlicht haben. Stahls Thesen könnten Mütter glauben machen, ihr lächelndes Baby wolle nur die drohende Vernachlässigung abwenden.
Der Moderator und promovierte Psychologe Leon Windscheid wiederum missachte die dünne Evidenz vieler von ihm angeführter Studien. Denn es verkaufe sich besser, im Brustton der Überzeugung tolle Ergebnisse zu verkünden, als Mängel bei Veröffentlichungen aufzuzeigen und auf offene Fragen hinzuweisen.
Besonders fuchst es die Autorin, wenn psychoanalytische Ideen »verramscht« werden, wie der Begriff des »Introjekts« bei Stahl. Dass man verinnerlichte negative Überzeugungen im Erwachsenenalter durch viel Selbstliebe abbauen müsse, rede einer Dauerregression das Wort, die dazu führe, dass Betroffene von ihrem Umfeld volle Befriedigung der eigenen Bedürfnisse verlangten. Pflichthofer empfiehlt dagegen Trauerarbeit zur unwiderruflich verlorenen Kindheit. Sie gibt, in penetrant sarkastischem Ton, die Anwältin der (nicht so rosigen) Wahrheit: Man müsse lernen, durch die Beziehungsarbeit in der Therapie die Quelle des Leidens freizulegen und es als solches anzuerkennen, statt es rasch abstellen zu wollen.
Die Illusion überlegenen Wissens
Einerseits hat Pflichthofer recht: Oft werden Methoden, die Zeit und Mühe kosten, als kinderleichte 5-Minuten-Tricks verkauft, die das Gehirn »umprogrammieren«. Doch andererseits ist es durchaus legitim, schnelle Besserung alltäglicher Nöte zu suchen. Und man kann umgekehrt mit psychoanalytischer Begriffshuberei ewig tiefschürfen, ohne einen Schritt voranzukommen. Dass eine Therapie zwangsläufig »ein bis drei Jahre« dauere, wie die Autorin schreibt, und stets der Arbeit am Unbewussten bedürfe, zählt zu den alten Mythen der Psychoanalyse. Was lange währt, lässt auch lange die Kasse klingeln. Ein kritischer Blick auf ihre eigene Zunft hätte Pflichthofers Buch gut getan.
Während die Populärpsychologie auf Simplifizierung setzt, ist der Markenkern der analytischen Tiefblicker von jeher ihr Intellektualismus. Dass das Therapieziel darüber mitunter aus dem Blick gerät und Kompetenz suggerierender Jargon allein nicht heilt – geschenkt. Und natürlich gibt es auf dem blühenden Feld der Seelenhilfe noch weit größeren Unsinn und gefährlichere Tipps (»Glaube an dich, dann schaffst du alles!«) als das, was geschäftstüchtige Promis wie Stahl in ihr Schaufenster stellen.
Für Pflichthofer verschlimmern die Weisheiten der »Psychotainer« die Lage vieler Betroffener. Windscheid führe traumatisierte Menschen vor, Hirschhausen promote die pharmakologische Kontrolle von ADHS-Kindern, und Stahls »inneres Kind« leiste der Infantilisierung Vorschub. Ganz falsch ist das zwar nicht – nur bürgt selbst die mehrjährige Ausbildung von Analytikern, auf die Pflichthofer andauernd verweist, nicht zwangsläufig für Qualität. Was eine gelingende Psychotherapie grundsätzlich ausmacht – außer, dass sie lang und mühsam ist –, erklärt das Buch nicht.
Auf dem Markt der Seelenhilfe ist für fast jeden Geschmack etwas dabei: vom schnellen Lifestyle-Hack über esoterische Heilsversprechen bis zur endlosen Selbstbeschau der eigenen unbewussten Verletzungen. Es verkauft sich eben gut, was die Leute gerne hören und was die Illusion überlegenen Wissens erzeugt. Insofern ist die Abrechnung mit der Psychobranche oft auch nur eine subtile Variante derselben.
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