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Standardwerk zur Pyramidenforschung

Zwei Ägyptologen beleuchten praktisch jeden Aspekt des Pyramidenbaus im Alten Reich.

Die Ägyptologen Mark Lehner und Zahi Hawass waren jahrzehntelang in Grabungen auf dem Pyramidengelände bei Kairo involviert. Daher gehören sie zu den besten Kennern des Themas. Mehr als 42 Jahre lang befassten sie sich damit, dieses Werk zu erstellen – nach eigener Einschätzung wahrscheinlich länger, als der Bau der Pyramiden dauerte. Denn das Wissen über die Zeit des Alten Reichs mit der 4. Dynastie, in der die drei großen und sieben kleinen Pyramiden von Gizeh entstanden, ist in den zurückliegenden Jahren immens angewachsen. Lehner und Hawass mussten deshalb nicht nur bereits fertige Kapitel immer wieder umschreiben, sondern den Band auch wegen neuer Erkenntnisse laufend erweitern. Nun haben sie sich entschlossen, ihn als Zwischenbilanz zu veröffentlichen. In dem zuletzt angefügten Kapitel berücksichtigen sie noch die Ergebnisse jüngster geophysikalischer Untersuchungen, die zur Entdeckung bislang unbekannter Hohlräume führten.

In einem persönlich gehaltenen Vorwort würdigen die Autoren unter anderem den 2017 verstorbenen Initiator des Buchs, William Kelly Simpson. Darauf lassen sie einen recht abrupten Einstieg folgen, in dem sie das Pyramidengelände und seine Bebauung kompakt beschreiben. Aufrisszeichnungen und Querschnitte hätten das Verständnis des hier sehr gedrängten Textes erleichtert, sie finden sich jedoch erst in Kapitel 8. Das ist nicht optimal – umso weniger, da zunächst auch Verweise auf diese Abbildungen fehlen (später erscheinen sie hinreichend häufig). Gerade am Anfang des voluminösen Bands wären sie hilfreich gewesen, um ins Thema zu finden.

Faktenreich und mit feiner Ironie

Hat man das schwierige erste Kapitel durchgearbeitet, wird die Lektüre deutlich entspannter. Zu den nüchternen Beschreibungen gesellen sich Ausführungen zur Geschichte der Pyramidenforschung, die teils mit feiner Ironie gewürzt sind. Dort nehmen die Autoren unter anderem die "Erkenntnisse" diverser esoterischer Strömungen aufs Korn. Offen und selbstkritisch macht Lehner bereits im Vorwort kein Hehl daraus, dass er seinen Einstieg in die Materie seinerzeit über die New-Age-Bewegung fand, bevor er sich zum seriösen Wissenschaftler wandelte.

Der inhaltliche Bogen des Buchs ist weit gespannt und beleuchtet praktisch jeden Aspekt des Themas. Aus den vielen Informationen seien hier nur die wichtigsten herausgegriffen. So widmen sich die Autoren den erst 2013 entdeckten und bislang ältesten auf Cheops zurückgehenden Papyri, die am Roten Meer gefunden wurden. Diese liefern aufschlussreiche Erkenntnisse zur Beschaffung der Rohstoffe, die für den Pyramidenbau wichtig waren. Breiten Raum nimmt selbstverständlich die Arbeitersiedlung von Heiz al-Ghurab mit dem damaligen Frachthafen ein, die Lehner und seine Mitarbeiter im Südosten des Pyramidengeländes ausgruben. Auch über die unmittelbar benachbarte, zugehörige Nekropole mit ihren weitgehend ungeplünderten Felsgräbern, die Hawass freilegte, erfährt man einiges. Gerade in diesen Abschnitten, die den damaligen Alltag vor Ort oder die Aufgaben der Würdenträger schildern, die man von ihren Gräbern am Fuß der Pyramiden kennt, wird die Entstehungszeit der Pyramiden vor dem Auge der Leser lebendig. Die historische Entwicklung, die innerhalb weniger Generationen zu den gigantischen Monumenten des Cheops und Chefren führte, behandeln die Autoren ebenso, wie sie Überlegungen zur konkreten Bautechnik anstellen. Lediglich im angehängten Literaturverzeichnis vermisst man einige wichtige deutschsprachige Arbeiten der jüngeren Zeit, etwa die Dissertation von Frank Müller-Römer.

Rätselhafter Sphinx

Neben den monumentalen Grabstätten der Pharaonen selbst stellen Lehner und Hawass diejenigen der übrigen Königsfamilie auf dem Gizeh-Plateau vor. Dazu gehört das mit reichen Beigaben, aber ohne Mumie aufgefundene Grab der Cheops-Mutter Hetepheres, aber auch die monumentale Anlage der späteren Königin Chentkaus. Ebenso wenig fehlen die beiden "Sonnenboote" des Cheops sowie der während des Neuen Reichs verschüttete und später wieder freigeschaufelte große Sphinx. In ihm sehen die Autoren ein Werk des Chefren – was in der Fachwelt umstritten ist. Die antike Geschichte von Gizeh findet ihren Abschluss in der so genannten saitischen Renaissance, als während der 26. Dynastie die kultische Verehrung der Pharaonen der 4. Dynastie eine neue Blüte erlebte. In dieser Zeit wurde unter anderem die Mumie des Mykerinos in dessen Sargkammer, die damals offensichtlich noch nicht geplündert war, in einen neuen Holzsarg umgebettet.

Dem optischen und literarischen Genuss tut es keinen Abbruch, dass sich an wenigen Stellen im Buch etwas unglückliche Übersetzungen finden. Beispielsweise in der Bildunterschrift zur Sitzstatue des Zwergs Pernianchu. Die Statue soll demnach "aus Basalt geschnitzt" sein, doch welche Wunderklinge hätte das leisten können?

Den im Klappentext geäußerten Anspruch der Autoren, der Band sei "das neue Standardwerk zum Thema" (im englischen Original "The definitive history"), kann das Buch jedenfalls erfüllen – möglicherweise auf Jahrzehnte hinaus.

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