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»Die Reise der Wale«: Zwischen Wissenschaft und magischem Denken

Leigh Calvez fühlt sich Walen spirituell verbunden. Ihre Schilderungen sind manchmal faszinierend, oft aber auch zu sehr Schilderungen ihrer selbst.

Wale haben die Menschen seit jeher fasziniert. Wie schwerelos bewegen sie ihre gigantischen Körper durch einen Lebensraum, der uns so fremd wie rätselhaft ist. Kein Wunder, dass man ihnen einst übernatürliche Kräfte zuschrieb. Auch Leigh Calvez ergriff die Faszination für die Meeresgiganten – so sehr, dass sie ihr Leben über Jahre in den Dienst ihrer Erforschung stellte. In ihrem Buch nimmt sie uns mit auf zahlreiche Forschungsfahrten, vor allem nach Hawaii und entlang der Westküste der USA. Dabei schildert sie lebendig ihre persönlichen Eindrücke, stets verwoben mit allerhand Wissen rund um die intelligenten Meeressäuger, etwa zu ihren Wanderrouten, Ernährungsweisen und Sozialstrukturen. Dabei liegt der Fokus auf sechs verschiedenen Arten, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist.

Calvez beschränkt sich nicht auf wundersame Begegnungen mit Orcas, Buckelwalen und Co, sondern weist auch immer wieder auf die Bedrohungen hin, denen sie ausgesetzt sind. Trotzdem verfällt die Autorin nicht in Defätismus. Wir lernen etwa »Springer« kennen, das verwaiste Orca-Kalb in der Bucht vor Seattle, das Anfang der 2000er Jahre ein kleiner Medienstar wurde. Dank zahlreicher Spenden und öffentlichem Engagement gelang es, das Walmädchen mit seiner Familie wiederzuvereinigen. Die Autorin will uns damit sagen: Es ist nicht alles verloren, wir müssen bloß Verantwortung übernehmen. Aus ihrer Sicht kommt uns Menschen die Rolle der Beschützenden zu. So schildert sie eine für sie einschneidende Begegnung mit einem Grauwal-Baby und seiner Mutter: »Ich spürte Vergebung von dieser Walmutter (…) als ich mein Herz sagen hörte: Schäme dich nicht dafür, ein Mensch zu sein. Ihr seid die Hüter«.

Anthropomorphismus und magisches Denken

In Passagen wie diesen offenbart sich aber leider auch eine der Schwächen des Buchs – ein Hang zum Anthropomorphismus. Zwar ist die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften gegenüber Tieren nicht grundsätzlich falsch – schließlich sind auch wir Säugetiere. Aber die Autorin geht dabei dann doch etwas zu weit. Etwa, wenn sie von dem trauernden Orca-Weibchen Tahlequah berichtet, das wochenlang sein totes Baby über Wasser hielt. Calvez wundert sich über dieses Verhalten und schlussfolgert: »Sie trägt die Trauer für uns alle (…) damit wir es alle sehen konnten, im Dienste des höchsten Guts.« Das ist schon viel Interpretation für eine »Wissenschaftlerin«, als die sich die Autorin immer wieder selbst charakterisiert. Dabei wird aus dem Buch selbst nicht klar, auf welcher anerkannten Ausbildung oder wirklich einschlägigen Berufserfahrung diese Bezeichnung gründet; und eine Internetrecherche gibt hier auch keinen befriedigenden Aufschluss.

Selbst ohne den Blick auf die nicht hinreichend dokumentierte Qualifikation der Autorin befremdet ihr Hang zum Metaphysischen. Ziemlich zu Beginn des Werks outet sie sich als Anhängerin von Rupert Sheldrake und seiner umstrittenen Theorie der »Morphischen Resonanz«. Demnach besitzen alle Lebewesen morphische Felder, die auf einer in der Natur verankerten, über Raum und Zeit hinweg reichenden Erinnerung basieren. Buckelwale würden das kollektive Gedächtnis ihrer Spezies nutzen, um über große Distanzen hinweg zu kommunizieren. In einer Szene beschreibt die Autorin, wie sie gemeinsam mit Kollegen einen kleinen Schwertwal mit einem Sender versehen hatte: »Ich sprach in meinem Kopf mit dem Wal, erzählte ihm von unserem Vorhaben und bat ihn um Erlaubnis. (…) Konnten die Wale womöglich über Sheldrakes Morphische Resonanz unsere Absichten erraten?« Es erscheint durchaus klug, dass Calvez diese Gedanken gegenüber Forschern nicht äußerte, um nicht als »Verrückte« abgestempelt zu werden.

Mitunter ist die »Reise der Wale« auch eine zähe Lektüre, etwa wenn die Autorin ausführlich schildert, wie sie stundenlang nach einer bestimmten Spezies oder auch nur nach verloren gegangenen Sendern Ausschau hält. Schade ist auch, dass Abbildungen vollkommen fehlen.

Insgesamt hinterlässt das Buch einen ambivalenten Eindruck. Es bietet durchaus fesselnde Momente und eine inspirierende Botschaft. Auf der anderen Seite entsteht der Eindruck, es gehe nicht primär um die Wale, sondern um die Autorin selbst – um ihren Werdegang, ihren Kampf mit einer schweren Erkrankung, um den Weg ihrer »Erleuchtung«. Insofern wäre »Die Reise der Leigh Calvez« ein passenderer Titel gewesen. Der Untertitel der englischsprachigen Ausgabe trifft diesen Sachverhalt besser: »The Science and Spirit of the Pacific Ocean Whales.« Hieraus kann man zumindest erahnen, was einen erwartet: eine Mischung aus Wissenschaft und magischem Denken.

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