Römische Adler im Magyarenland
"Überall dort, wo der Römer siegt, da wohnt er". Diese Worte Senecas (1-65 n. Chr.) gelten für den gesamten Herrschaftsraum, in dem die "Söhne des Mars" vor rund 2000 Jahren ihre Spuren hinterließen. Es trifft auch auf das Gebiet des heutigen Ungarn zu, wo die Römer kurz nach der Zeitenwende die Provinz Pannonien errichteten.
Hier, im geographischen Großraum zwischen Donau, Drau und Save, entwickelten sich schon bald nach der römischen Eroberung "blühende Landschaften". Vor allem die Städte, ob neu gegründet oder bereits vorhanden gewesen, waren Hauptorte des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens und trugen zur Zivilisationsentwicklung bei. Im Grenzbereich zu feindlichen Völkerschaften nördlich der Donau überwog der militärische Charakter, aber im Landesinneren florierten unter dem Schutz des Militärs Handel und Gewerbe und somit die Wirtschaft.
Anhand neuester archäologischer und kulturhistorischer Forschungen zeichnet László Borhy, Althistoriker und Archäologe an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest, einen umfassenden Überblick über die römerzeitliche Geschichte Ungarns. Wirtschaft und Religion beschreibt er ebenso anschaulich wie Militär- und Alltagswelt sowie die vornehmlich von einheimischen Eliten getragene Urbanisierungspolitik, auf die sich die römische Herrschaft stützte.
30 Jahre Abwehrkampf
Ein einleitendes Kapitel behandelt die vorrömische Zeit. Es beschreibt die Spanne zwischen 750 und 450 v. Chr. und beleuchtet die Siedlungsstrukturen der einheimischen Bevölkerung des Karpatenbeckens sowie der Kelten, die dort seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. ansässig waren. Sodann widmet sich Borhy der römischen Intervention im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts v. Chr. unter Kaiser Augustus und dessen Nachfolger Tiberius. Sie führte nach drei Jahrzehnten teils hartnäckigen Widerstands um 14 n. Chr. zur Einrichtung der Provinz Pannonia (benannt nach dem dort vorgefundenen Stamm der Pannonii). Die anschließende Konsolidierung der römischen Herrschaft unter den Imperatoren des flavischen (69-96 n. Chr.) und des antoninischen (96-192 n. Chr.) Kaiserhauses, die eine dauerhafte Ordnung und geregelte Verwaltung hervorbrachte, darf als Blütezeit der fast 450 Jahre dauernden römischen Präsenz in der Region angesehen werden.
Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Straßen, Artefakte und eindrucksvolle Bauten, etwa der Villenkomplex von Baláca und der spätantike Statthalterpalast von Savaria, deren Überreste heute noch sichtbar sind. Sie bezeugen, dass die unterworfene einheimische Bevölkerung bereit war, für die Annehmlichkeiten und Segnungen der "Pax Romana" ihre alten Gewohnheiten aufzugeben und sich der römischen Lebensweise anzupassen. Dazu gehörte es, römische Eigennamen anzunehmen, die Kinder in eine Schule zu schicken, die Toten römisch zu bestatten und ihnen Grabsteine mit Inschriften in lateinischen Lettern zu setzen. Dazu gehörte auch, die angestammten Götter mit römischen zu identifizieren, Tempel und Wasserleitungen zu bauen, Theater und Arenen zu errichten und in den nach römischem Vorbild errichteten Rathäusern der städtischen Selbstverwaltung nachzugehen. All diese Facetten fügt Borhy zur detailgetreuen Rekonstruktion der säkularen Romanisierung zusammen.
Militär- und Verteidigungsanlagen am Donaulimes künden von der strategischen Bedeutung Pannoniens als wichtige Grenzregion im Nordosten des Imperiums. Anschaulich beschreibt Borhy die unterschiedlichen Wehrbauten, die über Jahrhunderte hinweg gegen die Bedrohung durch Jazygen, Markomannen, Quaden und Goten installiert wurden. So lässt sich etwa seit dem 3. Jahrhundert, als das Reich vom Angreifer zum Angegriffenen wurde, eine auffällige Intensivierung der Verteidigungsanstrengungen nachweisen; eine Entwicklung, die spätestens nach den Markomannenkriegen unter dem Philosophenkaiser Marc Aurel (regierte von 161-180 n. Chr.) eingesetzt hatte.
Ein Reich verschanzt sich
Einschneidende Veränderungen in Militärarchitektur und Verteidigungssystemen brachte das 4. Jahrhundert mit sich, als mit dem Vordringen der Goten, Alanen und Hunnen Völkerschaften aus dem "Barbaricum" vermehrt auf römisches Reichsgebiet vorstießen. Die ursprünglich lineare Grenzbefestigung wurde jetzt durch ein dreifaches Verteidigungssystem ersetzt. Es bestand erstens aus einem im Limesvorfeld der ungarischen Tiefebene angelegten Erdwallsystem, dem so genannten "Teufelsgraben", zweitens aus den bereits vorhandenen Legionslagern und Hilfstruppenkastellen entlang der Donaugrenze und drittens aus einer Kette von Befestigungsanlagen im Landesinnern, die als Nachschubbasen für die am Limes stationierten Einheiten fungierten.
Jenes dreigliedrige System wurde – den neuen strategisch-taktischen Herausforderungen entsprechend – durch neue Wehranlagen ergänzt, vor allem durch Brückenkopf-Festungen mit Schiffsanlegestellen und dem Kastelltyp des "Quadriburgium". Dabei handelte es sich um einen kompakten, trapezförmigen Bau mit markant hervortretenden Ecktürmen, wehrgangbesetzten Wällen und breiten Umfassungsmauern, der besser zu verteidigen war als die Vorgängeranlagen des 1. und 2. Jahrhunderts.
Die vornehmlich unter den Kaisern Diokletian (284-305) und Konstantin (306-337) sowie später unter Valentinian (364-375) installierten Abwehrsysteme konnten den Stürmen der Völkerwanderungszeit lange Zeit standhalten. Im Jahr 433 jedoch bereitete der Hunnenkönig Attila der römischen Herrschaft in Pannonien ein Ende.
"Die Römer in Ungarn" ist ein weiterer Band aus der Schriftenreihe "Orbis Provinciarum", mit der der Verlag Philipp von Zabern versucht, einem archäologisch interessierten Publikum ein kompaktes und allgemeinverständliches Bild der antiken Alltagswelt in römischen Provinzen zu vermitteln. Dem vorliegenden Buch, dem ersten deutschsprachigen Überblick der römerzeitlichen Geschichte Ungarns, gelingt dies rundum.
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