Von China bis zum Schwarzen Meer
Es waren beschwerliche und gefährliche Reisen, welche die Gebrüder Niccolo Polo (etwa 1230-1294) und Maffeo Polo (etwa 1230-1309) an den Hof des damaligen Mongolenherrschers Kubilai Khan führten. Auf einer Handelsreise zur Krim waren sie von Kriegshandlungen immer weiter ostwärts gedrängt worden, bis sie 1266 den Hof des Khans erreichten. Mit einer Botschaft an den Papst kehrten sie in Kubilais Auftrag nach Europa zurück. Später unternahmen sie eine zweite Reise ins Mongolenreich, auf der sie Niccolos Sohn Marco (etwa 1254-1324) begleitete, der einen bis heute umstrittenen Bericht über seinen dortigen Aufenthalt hinterließ.
Die Polos hatten auf ihren raumgreifenden Expeditionen die Routen der so genannten Seidenstraße genutzt. Dieses riesige Netz von Handelswegen verband die Kulturen und Landschaften dreier Kontinente und besaß zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem 14. Jahrhundert n. Chr seine größte Bedeutung. Sein östliches Ende war China, sein westliches der Schwarzmeerraum. Ausläufer und weiterführende Wirtschaftswege erstreckten sich bis auf die Inseln des Indischen Ozeans, nach Afrika, Russland und Südskandinavien. Jene wirtschaftlichen Verbindungsadern sind Thema dieses Buchs, das die Historikerin und Asienexpertin Susan Whitfield herausgegeben hat. Wie dem Werk zu entnehmen ist, diente die Seidenstraße nicht nur dem Austausch der begehrten Seide, sondern auch einer Unmenge weiterer Waren: Pferde, Edelsteine, Metalle, Gefäße, Medizin, Glas, Porzellan, Lebensmittel und Sklaven. Ein intensiver kultureller Austausch zwischen den beteiligten Völkern war die logische Folge.
Skythen und Pontier
Whitfield und ihre Mitautor(inn)en gliedern die Hauptkapitel nach Landschaften wie Steppe, Berge und Hochland, Wüsten und Oasen, Flüsse und Ebenen sowie Meeren. Denn diese lieferten einerseits Rohstoffe und boten andererseits spezifische Vor- und Nachteile beim Reisen. Gebirge beispielsweise stellten große Hindernisse dar, die überwunden werden mussten. Die jeweiligen landschaftlichen Eigenheiten und Siedlungsmöglichkeiten werden zu Beginn jedes Kapitels erläutert und kartografisch präsentiert. Auch behandeln die Autoren die Völker und Reiche der jeweiligen Regionen. Vermeintlich scharfe Abgrenzungen zwischen diesen hob der aus dem Handel resultierende Kulturaustausch zum Teil auf.
Bereits die griechischen Kolonien des Schwarzmeerraums besaßen vielfältige Kontakte zu den meist nomadisch lebenden Skythen der Steppe. Steppenvölker aus dem Iran unterstützten Mithridates VI. (132-63 v. Chr.), König von Pontos, auf dessen gescheitertem Feldzug gegen das Römische Reich. Und römische Händler lieferten im 1. Jahrhundert n. Chr. unter anderem Bronzegefäße, Silbergeschirr und Waffen in die Steppe, die sich dort heute als Grabbeigaben finden. Andererseits enthalten die Gräber gesellschaftlicher Eliten des Schwarzmeerraums chinesische Waren wie Spiegel, Jadeobjekte oder Seide.
Die Autoren verweisen darauf, dass nicht nur die großen sesshaften Kulturen, sondern auch nomadische Hirtengemeinschaften, die regelmäßig zwischen Sommer- und Winterlager wechselten, sehr viel zu den Handels- und Kulturbeziehungen beitrugen. Denn mit Kamelen und Pferden lieferten sie die Tiere für den Warentransport, kontrollierten in der Steppe den Überlandhandel und übermittelten sowohl Ideen als auch Lebensstile. Der Buddhismus gelangte auf diesem Weg beispielsweise über das Volk der Kuschan von Südasien in das heutige nordwestliche China.
Kleinere Kulturen oder Reiche sind ebenso Gegenstand des Buchs wie die großen und gut bekannten Völker der Römer, Griechen, Byzantiner, Mongolen und Chinesen. So erfahren wir, dass die Oasenkönigreiche der Taklamakan-Wüste sich immer wieder gegen die Einflussnahme großer asiatischer Nachbarn wie türkischer und uigurischer Khanate oder der Kuschan behaupten mussten. Doch auch diese kleineren Reiche waren kulturelle Schmelztiegel. Nachweisbar sind deren Kontakte zu Zoroastriern (den Anhängern der von Zarathustra gestifteten Religion), Manichäern (den Anhängern einer vom Perser Mani gestifteten und gnostisch beeinflussten Offenbarungsreligion) sowie den christlichen Nestorianern. Letztere glaubten an eine geteilte und unvermischte menschliche und göttliche Natur Jesu Christi. Die Konzilien des 5. und 6. Jahrhunderts von Ephseos und Konstantinopel hatten ihre Lehre als Häresie verurteilt. Als das beständigste dieser Oasenreiche gilt Hotan. Es war buddhistisch, doch seine Könige besaßen iranische Namen.Ähnlich den fließenden Übergängen zwischen Landschaften und den unscharfen Abgrenzungen zwischen Kulturen scheinen auch die Kapitelgrenzen infolge vieler Querverweise und thematisch übergreifender Texte zu verschwimmen. Darin geht es um Städte und Bauwerke, Keramik und Glas, Münzen und Geld, Metallarbeiten und Halbedelsteine, Handschriften, Schriftzeugnisse, Skulpturen und Malerei sowie Textilien.
Zwar spiegeln diese unscharfen Abgrenzungen das Bestreben der Herausgeberin wider, dem komplexen, interdisziplinären Stoff gerecht zu werden, können aber durchaus auch als Nachteil gesehen werden. Denn zumindest auf den ersten Blick fällt beim Lesen eine Orientierung nach politischen, kulturellen oder chronologischen Aspekten schwer, was die Lektüre ein Stück weit fordernd macht. Doch die vielen Verweise erschließen eine große Informationsfülle, die durch zirka 500 Karten und Abbildungen veranschaulicht wird.
Das Buch richtet sich an Leser mit kulturhistorischem Interesse am eurasisch-afrikanischen Raum. Sie sollten allerdings die Bereitschaft mitbringen, innerhalb des Bands selbst auf »Entdeckungsreise« zu gehen.
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