Kommunikation abseits von Tänzen
Kehrt eine Honigbiene von einer erfolgreichen Sammelexpedition in den Bienenstock zurück, führt sie einen Schwänzeltanz auf. Damit versucht sie ihre Arbeitskolleginnen zu animieren, sich ebenfalls auf den Weg zum lohnenden Futtertopf zu machen. Durch ihre Ausrichtung zur Schwerkraft und der Schnelligkeit ihrer Bewegungen teilt die Biene Himmelsrichtung und Entfernung des angepriesenen Flugziels mit. Findet die Choreografie Anklang, tanzen interessierte Bienen mit und eignen sich auf diese Weise die Wegbeschreibung an.
Wegbeschreibung durch Tanz
Dass Bienen durch Tänze miteinander kommunizieren, ist seit Jahrzehnten bekannt. Verhaltensforscher Karl von Frisch erhielt 1973 unter anderem für diese Entdeckung (gemeinsam mit Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen) den Nobelpreis für Medizin. Seit damals weiß man jedoch auch, dass der Tanz nur die halbe Wahrheit enthält und die zum Flug animierten Bienen ab einer gewissen Entfernung vom Stock auf weitere externe Informationen angewiesen sind. Anders ließe sich nicht erklären, warum sie zum Teil wesentlich länger für den Flug benötigen als die Vortänzerinnen, erläutert der Bienenforscher Jürgen Tautz in seinem neuen Sachbuch.
Was genau die Bienen auf ihrem Flug leitet, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Die Frage hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einem erbitterten Streit zwischen den Forschern geführt. Vermutlich spielen Blütenduft, aber auch Duftmarken aus dem Geraniol der bieneneigenen Nasanov-Drüse entscheidende Rollen. Welchen jeweiligen Anteil Tanz, Anlockung durch Pheromone und weiteres Kommunizieren während des Flugs haben, ist unklar. Nicht zuletzt lag die Wissenslücke bislang in der methodischen Schwierigkeit begründet, die schnell fliegenden Bienen auf ihrem Flug durchgängig verfolgen zu können. Moderne Radar- und Zeitlupentechniken sollten dies jedoch künftig möglich machen.
Tautz, emeritierter Professor am Biozentrum der Universität Würzburg, hat sich am Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn der mühe- und verdienstvollen Fleißarbeit unterworfen, einen umfangreichen Überblick zur Tanzsprache zusammenzustellen und ihn der breiten Öffentlichkeit vorzulegen. Dabei hängt er sein Steckenpferd hoch auf und vergleicht es gleich zu Beginn mit der Entdeckung der Atomspaltbarkeit, des heliozentrischen Weltbildes und der DNA-Struktur.
Leider hält der folgende, von Aristoteles ausgehende historische Abriss nicht den erzeugten Spannungsbogen. Denn er verliert sich in redundanten Ausführungen zur »bekanntesten Kontroverse (…) der Verhaltensbiologie«. Diese scheint in der Vergangenheit sogar die fachliche Ebene verloren und in persönliche Angriffe gemündet zu haben. »Möglicherweise sind weniger Debatten und persönliche Angriffe, aber dafür mehr Beobachtungen und Daten erforderlich«, zitiert Tautz einen Forscherkollegen aus dem Jahr 1998.
Der Ärger darüber, dass sich die Kommunikationsforschung an den Tänzen im Bienenstock »festgefressen« habe, treibt den Soziobiologen um. Er fordert, das Verhalten der Tiere während des Flugs ins Visier zu nehmen. Bienen seien schließlich auch unterwegs soziale, kommunikative Wesen, stellt Tautz klar. Sein Werk soll das bestehende Missverhältnis in der Bienenforschung offenlegen: »Mehr als tausend Studien, die sich mit dem Kommunikationsverhalten der Bienen im Bienenstock befassen, stehen nicht einmal eine Handvoll Arbeiten gegenüber, die sich Beobachtungen zu Kommunikation zwischen den Arbeitsbienen auf dem Flug zu einem Ziel hin widmen.«
Für Leser und Leserinnen, die weniger an der Geschichte der Querelen und mehr an den Erkenntnissen über die erstaunlichen Sinnes- und Gedächtnisleistungen der Bienen interessiert sind, dürfte erst das letzte Drittel des Buchs richtig lohnenswert sein. Hier plaudert der Experte kurzweilig aus dem Nähkästchen und erfüllt die auf dem Buchrücken versprochene unterhaltsame Aufbereitung »spannender Phänomene im Informationsaustausch zwischen Bienen«. Er berichtet von neuen Erkenntnissen, die dank Zeitlupen-Videos, Laser-Doppler-Vibrometrie (einer Technik zur Messung der beim Tanz erzeugten Schwingungen auf der Wabe), neuer physikalischer und chemischer Messmethoden, Einsätzen von Roboter-Bienen und Ähnlichem gewonnen wurden.
Allerdings, so moniert der Verhaltensforscher, konzentrierten sich die Forschungsprojekte weiterhin auf das Tanzverhalten in den Stöcken. Dabei sei es an der Zeit, die »Kommunikation zwischen Bienen neu (zu) denken« und die früher nicht verifizierbaren Vermutungen hinsichtlich der Bedeutung von Duftmarken durch Hightech-Methoden zu überprüfen und mit ihrer Hilfe viele weitere offene Fragen zu klären.
Mit seinem Buch möchte der scheidende Kommunikationsforscher der modernen Bienenforschung die Richtung weisen. Ob das die geeignete Kommunikationsform ist, bleibt abzuwarten. Die Lektüre lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um ein erstrebenswertes Ziel handelt.
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