Buch zum Behalten
Es sieht fast so aus wie das Fliewatüüt, mit dem der Junge Tobbi im Kinderbuch des Autors Lornsen auf Abenteuersuche geht. Das Fliewatüüt ist rund, rot und es kann drei Sachen: fliegen, fahren und tauchen. Im Buch »Die Tiefseetaucherin« heißt das Gefährt Ulf und kann nur eines: unter Wasser tauchen, aber dafür ziemlich tief. Und es ist kein Junge, der die Abenteuer erlebt, sondern ein Mädchen namens Juli, das sehr neugierig auf die Tiefsee und deren Bewohner ist.
Ein Fisch aus Gelee
Selten sind Kinderbücher so gut für Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren geeignet wie dieses – es vermittelt eine Menge Wissen bei sehr großem Lesespaß. Die Autorin und Illustratorin Iris Ott zeigt, was Juli auf ihrer Reise in die Tiefsee nach und nach für Wesen kennen lernt und wie sie mit ihnen kommuniziert. Als Juli in über 1000 Meter Tiefe auf einen Blobfisch trifft, fragt der sie, warum sie denn so komisch hinter der Scheibe des U-Boots aussieht. »Ich komme nicht von hier. Ich bin ein Mensch und lebe eigentlich über Wasser«, antwortet sie. »Und du?«, fragt sie zurück. »Ich bin ein Blobfisch und bestehe größtenteils aus Gelee. Wenn du mich anfasst, denkst du, du streichelst einen Wackelpudding. Ich muss weich und wabbelig aussehen, damit ich dem großen Druck hier standhalte.« Und so zeichnet Ott, wie der Blobfisch in sich zusammenfällt, wenn er an Land geholt wird, und wie er in seiner natürlichen Umgebung aussieht.
Wie sich viel Druck anfühlen kann, macht die Autorin klar, als Juli in 8000 Meter Tiefe ankommt. Sie malt eine umgedrehte Pyramide bestehend aus 1600 dicht verschlungenen grauen Elefanten. Mit der Spitze eines der Dickhäuter lasten alle zusammen auf dem tiefseetauglichen U-Boot. Das sieht beeindruckend schwer aus.
Die Illustratorin zeichnet auch, wie sich riesige rote Krakenarme über zwei Seiten schlingen, eine zart blassblaue Plastiktüte in 4000 Meter Tiefe schwebt oder ein Blauwal Krebstiere durch seine Barten wie durch einen Kamm zieht. So verzaubert Ott die Leserinnen und Leser. Fachliche Unterstützung lieferten Fachleute der Stiftung Deutsches Meeresmuseum, des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften und des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung. Das ist dem Buch anzumerken, denn es haben sich trotz einfacher Erzählung keine Fehler eingeschlichen.
Einen netten Trick haben kleinere Pottwale drauf, schildert Ott. Wenn sie von Orcas angegriffen werden, bilden sie einen Kreis wie die Blütenblätter einer Margerite. Das schwächste Gruppenmitglied schützen sie in ihrer Mitte, und Juli denkt: »Das sollte man immer so machen.«
Das Mädchen hat nicht nur eigene Ideen. Ott zeigt ein neugieriges und mutiges Kind, bei dem auch der Spaß nicht zu kurz kommt. Als Juli auf ihrer Reise in die Tiefe einen Riesenkalmar trifft, fragt er sie: »Wusstest du, dass ich Weltmeister im Armdrücken bin?« »Genial!«, antwortet Juli, »das wollen wir doch direkt mal testen!« Der Kalmar mit seinen zehn Armen gewinnt natürlich. Aber das ist nicht schlimm. Denn besonders schön wird es bei der Verabschiedung – wer kann sonst so gut winken?
Wer das Buch gekauft hat, um es zu verschenken, könnte es schwierig finden, Abschied davon zu nehmen, wenn er erst einmal reingeschaut hat. Vielleicht muss man gleich zwei davon kaufen, eins zum Verschenken und eins zum Behalten. Im nächsten Buch will die Autorin ihre Hauptdarstellerin ins All oder in die Wüste reisen lassen. Vielleicht braucht ihre abenteuerlustige Juli dann doch so etwas wie ein Fliewatüüt.
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