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»Die Unterwerfung«: Macht euch die Erde untertan

Warum hat es sich die Menschheit zur Aufgabe gemacht, die absolute Herrschaft über die Natur zu erringen? Dieser Frage geht der Historiker Philipp Blom auf den Grund. Eine Rezension
Xiaowan-Talsperre am Lancang

Eine Holländerin verkauft Wolken. Sie hat ein Online-Kataster eingerichtet, in dem sie jede einzelne Wolke mit Foto, Kaufpreis und QR-Code ausweist. Die Künstlerin Noa Jansma führt mit ihrem Handel »BuyCloud« das menschliche Verhalten, aus jeder Ressource ein Gewinn bringendes Investment zu machen, poetisch ad absurdum.

Mit derlei Geschichten setzt der Historiker Philipp Blom Thema und Ton seines Buchs »Die Unterwerfung«. Die Art und Weise, mit Bildern, Metaphern und Symbolen umzugehen, ist meisterlich. Das Ziel des Autors: der »Wahnidee nachzugehen«, warum die Menschen es sich zur Aufgabe gemacht haben, die absolute Herrschaft über die Natur zu erringen.

Mit etwas Geduld kommt man ans Ziel

Erreicht er sein Ziel? Ja, doch die Leser und Leserinnen brauchen etwas Geduld. Ob sein Exkurs zu Gilgamesch oder zur Geschichte Chinas, etwas Straffung hätte dem Buch gut getan. Dennoch schafft Blom es, seine Gedanken und Analysen immer wieder hell leuchten zu lassen. Wer andere Bücher des Bestsellerautors gelesen hat, wird manches wiederfinden, doch das schadet keineswegs.

Es wird deutlich, wie die Menschen schon im Paläolithikum Tiere ausbeuteten und durch Brandrodungen Landschaften veränderten. Dass Indigene naturverbunden leben oder lebten, ist eben nur die halbe Wahrheit. Trotzdem stimmt es, dass alle Kulturen, soweit wir heute wissen, die Natur als belebt wahrgenommen haben, in der sich Geister tummelten und Götter zu befrieden waren – bis der biblische Gedanke mit diesen Vorstellungen aufräumte. Fortan war die Erde aus Staub, die darauf wartete, vom Menschen umgepflügt und unterworfen zu werden. Der Mensch wurde vom Sklaven der Götter zur Krone der Schöpfung. Blom beschreibt diesen Wandel als »mythologische Atombombe«, die alles veränderte. Die Kirche wurde zum größten Landbesitzer, Mönche ließen roden, um den biblischen Auftrag an Adam und Eva auszuführen: Macht euch die Erde untertan!

Das Buch nimmt Fahrt auf, als Descartes' Hund und Montaignes Katze auftauchen. Um 1600 herum diskutieren große Philosophen die Frage, ob Tiere eine Seele haben. Während René Descartes den Menschen als »Herrscher und Besitzer der Natur« sah und Tiere zu Automaten erklärte, sind die Gedanken Michel de Montaignes für die Unterwerfung der Natur nicht zu gebrauchen. Im Gegenteil. Er geißelte den Hochmut der Menschen, wenn er sogar »den Himmel unter seine Füße bringen will«.

Blom beschreibt Versailles als bildgewordene Ideologie: Bäume stehen wie Soldaten in Reih und Glied, ein Heer von Gärtnern harkt, schneidet und reißt aus. Wir folgen dem Autor in die Welt der Aufklärer, in der alles vermessen und berechnet wird und die Menschen vor dem Altar der Vernunft niederknien. Auch wie die Wissenschaft zum Handlanger von Kolonialismus und Sklavenhandel wird, schildert Blom eindringlich. Mit der Vermessung von Schädeln wurden indigene Völker zu Affenhorden erklärt und so in die zu unterwerfende Natur integriert.

Dass die Natureroberungsträume der Kommunisten keinen Deut besser waren als die der Kapitalisten, wird ebenso klar. Leo Trotzki etwa schreibt: »Die gegenwärtige Verteilung von Bergen und Flüssen, von Weiden, Steppen, Wäldern und Küsten kann nicht als endgültig angesehen werden. Durch die Maschine wird der Mensch in der sozialistischen Gesellschaft die Natur in ihrer Gesamtheit kommandieren … Er wird die Plätze für Berge und Pässe anweisen. Er wird den Lauf von Flüssen ändern und den Ozeanen seine Regeln aufzwingen.«

Derlei Fantasien werden nur noch durch das Silicon Valley überflügelt. Die Utopien des Transhumanismus und die Vorstellung, dass der Mensch die Daten seines Gehirns in die Cloud hochlädt, löst ihn noch weiter aus natürlichen Zusammenhängen heraus. Dabei wäre exakt das Gegenteil nötig: Homo sapiens zu »verstricken«, wie Blom es nennt, ihn in das große Netz der Natur einzubinden. Er zitiert unter anderem den Biologen Merlin Sheldrake, der eine Leidenschaft für Pilze hat, vor allem für das Myzel, das in gigantischen Netzwerken unter der Erde wächst, mit mikroskopisch feinen Wurzeln, die mit Bäumen symbiotisch interagieren. Dieses »Wood Wide Web« ist ein anschauliches Beispiel, wie Leben und Lebensräume besser zu verstehen sind: als Systeme, als Organismen mit komplexen gegenseitigen Einflussnahmen, Abhängigkeiten, Kooperationen und Kommunikationswegen.

Bloms Buch kommt zur rechten Zeit und lässt keinen Zweifel daran, wo unser Platz ist: nicht außerhalb, nicht über, sondern mitten in der Natur. Spätestens der Klimawandel zwingt uns zu erkennen, dass sie sich nicht unterwerfen lässt. Wird es zu heiß, sterben wir, und die Erde dreht sich einfach weiter.

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