Aus der Gnade gefallen
Es ist Freitag der 13. im Oktober 1307. In Frankreich werden in einer penibel geplanten Überraschungsaktion hunderte Tempelritter über Nacht verhaftet und enteignet. Denn der französische Zweig des mächtigen Ritterordens steht unter Generalverdacht: Den Templern wird Ketzerei vorgeworfen. Die Anklagen wiegen schwer – vom Speien auf das Kreuz über die Verleugnung Christi bis hin zu "obszönen Küssen" und Sodomie.
Hinter der Aktion steckt König Philipp der Schöne (1268-1314), der seine jahrelangen Querelen mit dem Papst auf dem Rücken der Templer auszutragen sucht. Üble Haftbedingungen und Folter sorgen dafür, dass die Templer zahlreiche detaillierte "Geständnisse" ablegen. Viele leisten jedoch auch Widerstand und verteidigen ihren Orden. Mehr als 600 Männer erscheinen im Jahr 1310 zu diesem Zweck vor einer päpstlichen Kommission, die meisten von ihnen auf eine dreijährige Haft zurückblickend. Doch der "Aufstand der Templer" bleibt vergebens. Jene, die ihr erzwungenes Geständnis widerrufen, werden auf dem Scheiterhaufen verbrannt; der Orden aufgelöst.
Vielbeackertes Feld
Die Verfolgung der Templer ist bereits in zahlreichen Publikationen aufgearbeitet worden. Auch der Autor dieses Werks, Alain Demurger, hat bereits drei einschlägige Bücher verfasst. Gibt es überhaupt noch Neues zu dem Thema zu sagen? Demurger, renommierter Experte zur Geschichte des Templerordens und bis zu seiner Emeritierung Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität von Paris, wagt den Versuch. Er will vom Alltag der Ordensritter während der Verfolgung erzählen. Dabei bedient er sich der "Proposographie", der systematischen Erforschung eines historischen Personenkreises, und praktiziert eine sorgfältige, geradezu penible Quellenanalyse. Das ist fachlich interessant, sprengt in diesem populärwissenschaftlichen Buch jedoch gelegentlich die Grenzen des Genres.
Geduldig rekonstruiert Demurger die Reiserouten historischer Akteure, um Quellenangaben zu hinterfragen, und stellt Berechnungen an, um die Plausibilität von Prozessakten zu überprüfen. Dazwischen listet er die Namen von Ordensrittern seitenlang auf und bringt sie mit den spärlichen biografischen Informationen in Zusammenhang, die sich noch zusammentragen lassen. Gelegentlich illustriert er Sachverhalte mit Karten oder Tabellen – das ist nützlich und veranschaulicht etwa die große Anzahl von Gefängnissen, die man in Paris brauchte, um die vielen Templer inhaftieren zu können. Nach und nach entsteht so ein umfassendes Bild von den Bedingungen, unter denen die Templerprozesse stattfanden, sowie von den Protagonisten und ihren möglichen Motiven. Demurger gelingt es, vieles einleuchtend darzustellen und mit einigen Irrtümern aufzuräumen. Vor allem macht er deutlich, dass die Templer nicht, wie oft angenommen, lediglich passiv am Geschehen teilhatten, sondern ihr Schicksal durchaus aktiv zu beeinflussen versuchten. Die im Klappentext des Buchs angepriesene Spannung bleibt allerdings des Öfteren auf der Strecke.
Kampf um die Macht
Unterm Strich ist "Die Verfolgung der Templer" dennoch ein gutes Buch. Interessierte Leser mit geringen Vorkenntnissen holt der Autor mit einer kurzen, kenntnisreichen Einführung ins Boot. Er rekapituliert die Geschichte, erklärt die Hintergründe der Templeraffäre (nämlich den Machtkampf des französischen Königs mit dem Papsttum), führt durch relevante Quellen, kommentiert deren Verlässlichkeit und fasst die wichtigsten Positionen der Forschung knapp zusammen. Der Hauptteil des Werks befasst sich sodann in kurzen, chronologisch sortierten Kapiteln mit den Ereignissen zwischen 1307 und 1314. Dabei zeigt sich durchweg die historische Expertise Demurgers. Abgewogen präsentiert er verschiedene Fachmeinungen, stellt Streitpunkte wie komplexe Sachverhalte gut aufbereitet dar und überzeugt durch methodische Korrektheit. Zudem kann er den Stoff gut vermitteln: Es gelingt ihm, lesbar und verständlich zu bleiben, ohne Abstriche bei der Komplexität machen zu müssen.
Leser des Werks profitieren von der nachvollziehbaren Darstellung der Methodik, von den guten Belegen und dem Verzicht des Autors darauf, bevormunden zu wollen. Die Problematik der Quelleninterpretation tritt klar hervor, während sich zugleich abzeichnet, wie trotzdem greifbare Ergebnisse entstehen können. Ein empfehlenswertes Buch für Geschichtsinteressierte, die den Umständen der Templeraffäre genauer auf den Grund gehen möchten.
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