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»Die Vermessung der Berge«: Was die Berge uns erzählen

Blandine Pluchet nimmt ihre Leserschaft mit auf Erkundungstour durch die Berge und vermittelt erzählerisch ein vielfältiges Wissen.
Eine Frau meditiert auf einem Gipfel mit Blick über die Berge

Gebirge sind gelebte Geologie; in ihnen offenbaren sich viele Millionen Jahre Erdgeschichte mit endogenen und exogenen Naturkräften, mit komplexen Stoffkreisläufen, mit hochaktiven Wechselspielen von Wetter- und Klimageschehen – mit insgesamt nicht zu überschätzender Bedeutung für das Funktionieren unseres Planeten. Wie entstehen und vergehen Gesteinsmassive? Was bedeutet und bewirkt die Plattentektonik? Was verraten Felsen, Gesteine, Mineralien über unsere Vergangenheit und Zukunft? Wie können wissenschaftliche Erkenntnisse über Berge dazu beitragen, unsere Umwelt besser zu verstehen? Wie haben sich Flora und Fauna an die besonderen Bedingungen im Gebirge angepasst? Woraus besteht der Ozeanboden, welche Gebirge spielen dort eine Rolle? Welche Vorteile bieten Berge bei der Beobachtung des Alls, der Sterne und der kosmischen Strahlung, der wir Menschen ausgesetzt sind?

Mit anekdotischem Zugang vermittelt die Physikerin und Bergliebhaberin Blandine Pluchet die Grundlagen alpiner Geowissenschaften; sie erzählt von »Refugien einer verlorenen Welt«, bestehend aus Kreisläufen von Gebirgsbildung und Erosion, sie berichtet von geologischen Besonderheiten der Gebirge und sie »erwandert« – »mit Rucksack zum Gipfelkreuz« – weite Horizonte der alpinen Welt. Das Buch gliedert sich in drei große Teile mit insgesamt 14 Einzelkapiteln: »Höhenforschung«, »Die unsichtbaren Berge« und »An den Toren zum Kosmos«. Pluchet »bereist« die verschiedenen Themen und Bereiche, indem sie Observatorien und geologische Forschungseinrichtungen besucht und mit einschlägig arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern lange Gespräche führt. Die dabei gewonnenen Eindrücke, Erfahrungen und Erkenntnisse beschreibt sie einfühlsam, manchmal verbunden mit sehr persönlichen Assoziationen. Beispielsweise beim Besuch der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus auf der Zugspitze; die dort betriebene Forschung dient dem Ziel, die Vorgänge in der Atmosphäre besser zu verstehen, um damit mehr über das Klima der Erde zu erfahren und besser voraussagen zu können, wie es sich in den kommenden 20, 30 oder sogar 100 Jahren entwickeln wird. Pluchet schildert mit großer Empathie, wie diese Forschung abläuft, welche Geräte zum Einsatz kommen und wie dort stationierte Forscher die Arbeit bewältigen und reflektieren.

»Die Vermessung der Berge« widmet sich dem breiten Fragenspektrum einer vielschichtigen Materie, aufgeteilt in zahlreiche Fachgebiete. Die Autorin nähert sich diesen jeweils einzeln in Form von Erzählungen, die, allgemein beginnend, immer tiefer eindringend, die jeweiligen Sachverhalte von verschiedenen Seiten beleuchten.

So zum Beispiel in der »Geschichte der Gesteine«, wo sie anhand eines sie inspirierenden Bergkristalls eine Art Grundkurs in Mineralogie gibt:

Bergsteigen, wie es heute praktiziert wird, begann sich im 18. Jahrhundert zu entwickeln, Kristallsucher (»Strahler«) haben sich jedoch schon sehr viel früher in große Höhen gewagt. Mit geschultem Blick hielten und halten sie Ausschau nach Geoden, mit Kristallen gefüllten Hohlräumen im Gestein, wobei sie gemäß ihrem Ehrenkodex Edelsteine nur mit Hammer und Meißel aus dem Berg lösen dürfen. Bergkristall, also reiner Quarz, aus Siliziumdioxid bestehend, entstand vor vielen Millionen Jahren tief im Erdinneren: Bei hohen Temperaturen und hohem Druck kristallisierten die im Wasser gelösten Mineralatome. Blandine Pluchet beschreibt, wie Kristalle nicht nur nach ihrer chemischen Zusammensetzung, sondern auch nach ihrer Kristallstruktur unterschieden werden, das heißt nach der mehr oder weniger regelmäßigen Anordnung der Atome im Kristallgitter, wobei neben Druck und Temperatur bei der Kristallisation auch eventuelle Verunreinigungen durch andere Mineralien (Färbungen) eine wichtige Rolle spielen.

In den Bergen kommen die Vergangenheit und die Zukunft der Erde zum Ausdruck. Dass im Buch auch so wichtige Themen wie die Auswirkungen des Klimawandels von den Bergen ausgehend und in den Bergen selbst, ausgiebig zur Sprache kommen, versteht sich von selbst. Der Autorin ist es ein großes Anliegen, Berge nicht nur mit ihren geologischen Besonderheiten, ihrer planetaren Bedeutung und landschaftlichen Schönheit zu beschreiben, sie betrachtet und bewertet sie auch in geschichtlichem Zusammenhang: »Die Berge erheben sich, erodieren und verschwinden, um woanders von Neuem zu entstehen, und verändern so unablässig das Antlitz der Erde. Sie sind an den meisten Horizonten, früheren und heutigen, gegenwärtig. In den Gesteinen, der Vegetation und den menschlichen Kulturen.« Last, not least verleiht Blandine Pluchet Bergen auch eine spirituelle Dimension: »…manche suchen dort sogar die Erleuchtung, die ihnen helfen soll, eine höhere Existenzebene zu erreichen« und gibt ihrer persönlichen Leidenschaft für Berge Ausdruck, indem sie Petrarca zitiert: »Wohl aber liegt das Leben, das wir das selige nennen, auf hohem Gipfel, und ein schmaler Pfad, so sagt man, führt zu ihm empor.«

»Die Vermessung der Berge« ist ein leicht lesbares Buch für Wanderfreunde, Berg- und Naturliebhaber, es bietet mit zahlreichen – für manche Leserinnen und Leser vielleicht zu zahlreichen – persönlichen Erlebnissen, Anekdoten und Assoziationen eine Erkundungstour zum Basiswissen alpiner Geologie und verwandter Gebiete, verbunden mit Leidenschaft für Berge. 16 Illustrationen von Laetitia Locteau und die sichtbare rote Fadenheftung des Buchrückens erhöhen die Attraktivität eines Buches, das als gelungene »Populärwissenschaft in autobiografischer Erzählform« bezeichnet werden kann.

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