»Die Vermessung der Ernährung«: Ein umfangreiches Nachschlagewerk
Die Auseinandersetzung mit jeglichen Aspekten der Ernährung ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst: Wo und wie gehe ich erfolgreich auf Nahrungssuche? Durch welche Art der Zubereitung schaffe ich es, ein rohes Stück Fleisch möglichst lange haltbar zu machen? Während die Befriedigung eines der wichtigsten Grundbedürfnisse der Menschheit vor Millionen Jahren noch hauptsächlich von solchen – für uns heute trivialen – Fragen geprägt war, stehen wir aktuell vor ganz anderen Herausforderungen.
So lässt vor allem die in Industrieländern gegenwärtige Omnipräsenz leicht zugänglicher und billiger Lebensmittel schnell vergessen, dass die Verfügbarkeit von bewirtschaftbarem Ackerland sowie von Süßwasser, sauberer Luft und fossilen Düngemitteln begrenzt ist. Verschärft wird das durch den Klimawandel, der das aktuelle Jahrhundert mit mehr Dürren und Überschwemmungen prägt als jemals zuvor. Führt man sich zudem vor Augen, dass die begrenzten Ressourcen wegen des prognostizierten globalen Bevölkerungswachstums im Jahr 2050 für zehn Milliarden Menschen ausreichen müssen, wird der Ernst der Lage noch deutlicher.
Mit der »richtigen« Ernährung die planetaren Ressourcen schützen
Eine wichtige Grundlage für die Erarbeitung entsprechender Lösungsstrategien präsentieren der Professor für Operations- und Innovationsmanagement Jan Wirsam von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und der emeritierte Professor für Ernährung in Entwicklungsländern Claus Leitzmann von der Universität Gießen in ihrem ersten gemeinsamen Buch »Die Vermessung der Ernährung«. Es ist eines der ersten deutschsprachigen Werke, das zahlreiche Ernährungsdaten umfassend zusammenstellt, darstellt und kommentiert. Dadurch möchten die Autoren ernährungsassoziierte Maßnahmen aufzeigen, die planetare Ressourcen schützen könnten.
Das Buch besteht aus insgesamt drei Teilen, die sich jeweils mit einem thematischen Schwerpunkt auseinandersetzen. Deren Inhalte sind durch 164 ansprechende Abbildungen und 206 Tabellen leicht zugänglich. Nach der eindrucksvollen Darstellung des problematischen »Ist-Zustands« mit dem Fokus auf Lebensmittelverschwendung und wachstumsbedingter Ressourcenknappheit stellen die Autoren im ersten Abschnitt kurz die verschiedenen Vermessungsdimensionen von Lebensmitteln vor, die sie für die Erstellung des Werks herangezogen haben. So analysieren sie Lebensmitteldaten beispielsweise nicht nur von einem gesundheitlichen, sondern auch von einem wirtschaftlichen oder ökologischen Standpunkt aus.
Im zweiten, sehr ausführlichen Hauptteil stellen Wirsam und Leitzmann die 20 weltweit wichtigsten Lebensmittel(-gruppen) vor, wie Getreide, Fleisch oder Hülsenfrüchte, anhand der zuvor erklärten Vermessungsdimension ausführlich charakterisiert. Nach einer kurzen – oftmals historischen – Einführung präsentieren sie für jedes Nahrungsmittel allgemeine, geografische, ökonomische, ernährungsphysiologische und ökologische Messwerte beziehungsweise Kenngrößen. Diese reichen von der Beschreibung von Wachstumsstadien einzelner Pflanzen, den jeweiligen Produktionsvolumina einzelner Länder und dem weltweiten finanziellen Absatz bis hin zur Bewertung des gesundheitlichen Werts aus Sicht der enthaltenen Nährstoffe.
Besonders interessant sind Kreuzrelationen und Größen wie »kcal/t CO2-Emission«, »kcal/ha« (= Ernährungseffizienz) oder der CO2-Ausstoß beziehungsweise der Wasserverbrauch pro erzeugtem Kilogramm Nahrungsmittel. Wünschenswert wäre hier die Vermessung soziologischer, ethischer und politischer Dimensionen gewesen. Darüber kann man jedoch auf Grund der ohnehin sehr aufwändigen Ausarbeitung leicht hinwegsehen. Abgeschlossen wird jedes Lebensmittelkapitel mit einer kurzen Auflistung der wichtigsten Kernaussagen.
Unter Verwendung der geschilderten Messwerte und Kenngrößen vergleichen die Autoren im dritten und letzten Teil die verschiedenen Nahrungsmittel sowie unterschiedliche Ernährungsformen miteinander. Im Vordergrund stehen dabei jeweils Klimaverträglichkeit sowie planetare Ressourcen- und Ernährungseffizienz. Die spannendsten Erkenntnisse liefert der Vergleich zwischen der Ernährung des westlichen Durchschnittbürgers und Ernährungsweisen, die vegan, vollwertig oder von Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlen sind. So können die Autoren auf beeindruckende – wenn auch vielleicht nicht völlig überraschende – Weise zeigen, wie durch eine pflanzenbasierte Ernährung viele hundert Tonnen CO2 sowie tausende Quadratmeter Agrarfläche pro Jahr und Person eingespart werden.
Letzten Endes lösen Wirsam und Leitzmann alle Versprechen in überzeugend hoher Qualität ein: »Die Vermessung der Ernährung« stellt mit der ausführlichen Aufbereitung ernährungsbezogener Daten ein umfassendes Nachschlagewerk für Interessierte dar. Insbesondere zeigen die Autoren dabei auf, wie 2050 die Ernährung von zehn Milliarden Menschen sichergestellt werden kann, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten.
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