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»Die Welt der Gegenwart«: Ein Atlas der Geopolitik – und des Grauens

Die Journalistin Émilie Aubry und der Politikwissenschaftler Frank Tétart führen in einem Atlas einmal über die Kontinente und zu allen maßgeblichen Konfliktregionen der Welt.

Wer das geopolitische Fernsehmagazin »Mit offenen Karten« kennt, weiß: Das ist kein seichtes Infoformat – hier geht es ans Eingemachte. Die Sendeminuten sind mit Informationen vollgepackt, und am besten macht man sich beim Zuschauen Notizen. Mit »Die Welt der Gegenwart« haben die Macher dieser Sendung nun einen geopolitischen Atlas vorgelegt, der ihr in puncto Informationsdichte in nichts nachsteht.

In vierundzwanzig Artikeln beschreiben die Autoren, illustriert mit gutem Kartenmaterial, Regionen, in denen sich die Großkonflikte der Gegenwart zutragen oder die bespielhaft für diese stehen. Hier geht es etwa um Schwedens größte Insel Gotland, die, strategisch wichtig gelegen, zunehmend ins Fadenkreuz Russlands gerät, das erdölreiche Venezuela unter der Regierung Nicolás Maduros oder Algerien, das nach dem sogenannten Arabischen Frühling wieder etwas aus der medialen Öffentlichkeit verschwunden ist. Brennpunkte wie der Iran, Israel, Syrien oder Nordkorea fehlen natürlich ebenso wenig. In vier weiteren Artikeln beschreiben die Autoren Regionen, die beispielhaft einen Blick in die Zukunft eröffnen sollen – in Bezug auf Pandemien, den Klimawandel, die Verkehrswende und die digitale Welt.

Dicht und übersichtlich

Angesichts der thematischen Breite und eines Umfangs von etwas über 200 Seiten bleiben für die einzelnen Artikel jeweils ungefähr acht Seiten. Das ist natürlich nicht viel, wenn unheimlich komplexe Themen wie der Klimawandel oder der Konflikt zwischen Palästina und Israel beschrieben werden sollen. So können die jeweiligen geopolitischen Aspekte auch nur grob skizziert werden. Das geschieht durchaus in großer Informationsdichte und durch Karten angemessen veranschaulicht; gleichwohl können die Abschnitte so inhaltlich nicht über das hinausgehen, was etwas auch ausführlicheren Übersichtsartikeln in Wochenzeitungen zu entnehmen ist. Das schmälert keineswegs die Qualität des Buchs – denn sie liegt vorwiegend darin, die Krisen so zusammenzuführen, dass eine Gesamtschau entsteht, in der sich gleichzeitig Informationen zu einzelnen Regionen oder Themen nachschlagen lassen. Die Artikel bieten zudem eine gute Grundlage, wenn die Nachrichtenlage unübersichtlich wird und man sich die Hintergründe einzelner Konflikte nochmals vergegenwärtigen möchte.

Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa die Lage auf der Arabischen Halbinsel. Zwar ist sie, gerade im Moment, fast täglich Thema der Nachrichten. Aber wie verhält es sich nochmal genau mit den Rivalitäten und Allianzen der dortigen Länder? Welche Volksgruppen beherrschen den Jemen? Und an welcher Stelle nimmt der Iran Einfluss? Oder mit Blick auf Äthiopien: Welche ethnischen und religiösen Gruppen bestimmen die Geschicke des Landes in welchen Teilen und woraus resultieren die dortigen Spannungen? All dies kann man in »Die Welt der Gegenwart« übersichtlich präsentiert nachvollziehen. Das Werk ist damit in gewisser Weise natürlich auch ein »Atlas des Grauens«, denn es verdichtet die Erfahrung, die uns die Medien tagtäglich vermitteln: Es kriselt an allen Ecken und Enden.

Zum überwiegenden Anteil ist der Atlas ein sehr sachliches und informatives Werk; nur zwei Dinge sind zu bemängeln. Zum einen scheinen die Überschriften der Unterkapitel und Absätze erst nach dem Fließtext formuliert worden zu sein; jedenfalls passen sie zum Teil nicht zum Text, der auf sie folgt, oder beantworten nicht die Frage, die sie aufwerfen. So ist etwa das Kapitel »Russland gegen die Ukraine« mit der Frage untertitelt »Wladimir Putins letzter Krieg?«  – eine Überschrift, die sich dann auch noch über einem der Absätze des Kapitels findet. An keiner Stelle wird aber darauf eingegangen, woraus diese Vermutung resultiert, geschweige denn versucht, sie zu beantworten. Im Kapitel zur Europäischen Union lautet eine Überschrift »Brexit: Die resiliente Europäische Union«. Man ahnt, woher die Zuversicht der Autoren rührt, aber warum die EU denn nun resilient ist, wird nicht ausgeführt. Dies führt auch zum zweiten kleineren Abstrich: Für ein Sachbuch liest sich das Werk stellenweise etwas zu sehr wie eine politische Einordnung, beispielsweise der EU. Man mag den Autoren ihren Optimismus nicht verübeln, aber Sätze wie »Pech für Wladimir Putin …  die Europäische Union ist wieder geeint und attraktiv« oder die Aussage, dass sich die Bahn »mehr denn ja als das Verkehrsmittel der Zukunft durchsetzt«, entspringen dann vielleicht doch eher einem Wunsch als einer sachlichen Bestandsaufnahme – zumindest werden sie nicht durch Belege substantiiert. In der Summe ist das Werk, trotz dieser kleinen Monita, aber sehr zu empfehlen.

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