Vom Wert der Wiesen
Wie überzeugt man seine Mitmenschen davon, dass es wichtig ist, die wenigen verbliebenen, extensiv genutzten Mähwiesen zu erhalten und zu schützen? Zumal, wenn es kaum noch Zeitgenoss(inn)en gibt, die persönliche Erlebnisse mit Wiesen verbinden oder gar den ökologischen Unterschied zwischen einer mageren Glatthaferwiese und einer gelb blühenden Löwenzahnwiese kennen? Der Biologe und Naturfilmer Jan Haft hat das Thema aufgearbeitet und sich dabei für eine sowohl emotionale als auch rationale Ansprache entschieden. Parallel zu diesem Buch hat er einen Film herausgebracht, der anrührende und spektakuläre Nah-, Zeitlupen- und Zeitraffer-Aufnahmen von Tieren und Pflanzen bietet. Der gedruckte Band bietet die detaillierten Sachinformationen dazu.
Es handelt sich dennoch nicht um ein nüchternes Fachbuch. Des Autors aus der Kindheit herrührende Leidenschaft für Wiesen spricht aus jedem Absatz. Haft möchte die Leser(innen) mit seiner Begeisterung anstecken und lässt sie unmittelbar teilhaben an seinen Beobachtungen und Erkenntnissen. Das Buch beginnt und endet geradezu lyrisch, indem es im Prolog einen Frühlings- und im Epilog einen Herbstmorgen nach der ersten Frostnacht auf einer Wiese minutiös beschreibt. Dabei nimmt der Autor die Perspektive des Filmemachers ein, der die Eindrücke von Farben, Licht und Bewegungen mit der Kamera festhält. Wunderschöne Fotos auf 32 Bildtafeln unterstreichen diesen Eindruck.
Wichtige Biotope für Pflanzen und Tiere
In den acht Kapiteln dazwischen vermittelt der studierte Biologe leicht verständlich die botanisch-ökologischen Zusammenhänge, so dass auch interessierte Laien mühelos folgen können. Geschickt verknüpft er persönliche Erzählungen mit Sachinformationen und bemüht Zahlen und Statistiken nur, um die ökologische Bedeutung von Wiesen hervorzuheben. So berichtet er, ein Drittel aller heimischen Farn- und Blütenpflanzen kämen hauptsächlich auf Wiesen und Weiden vor, und 3.500 heimische Tierarten seien an sie gebunden. Beispiele dafür sind Schnecken, die ausschließlich in Wiesen leben, oder Rehe, die zeitweise dort grasen oder ihre Kitze dort absetzen.
Laut Bundesamt für Naturschutz ist der Bestand an artenreichen Wiesen seit den 1950er Jahren um 98 Prozent eingebrochen; aktuell stehen ein Drittel der Wiesenpflanzen auf der Roten Liste. Daran anknüpfend erläutert der Autor plausibel und profund, wie das Flurbereinigungsgesetz (1953 in Kraft getreten), die Umstellung auf maschinelle Bearbeitung landwirtschaftlicher Flächen, der Einsatz von Kunstdünger und der Niedergang des Ökosystems Wiese miteinander zusammenhängen. Das Unwesen der Düngung, entweder direkt in Form von Kunstdünger oder Gülle, oder indirekt über die Luft, greift Haft mehrfach auf und beleuchtet seine katastrophalen Auswirkungen auf das Ökosystem Wiese.
Um die Entstehungsgeschichte der Wiesen darzustellen, rollt der Autor die Erdgeschichte Europas auf. Er behandelt die wechselnden Vegetationsdecken des Kontinents – vom subtropischen Miozän über die Eiszeit bis zur Jetztzeit. Es folgen Exkurse in die Pflanzensoziologie, die Lehre der Pflanzengesellschaften, die sich Anfang des zurückliegenden Jahrtausends etablierte, und schließlich Ausführungen zu den verschiedenen Wiesentypen, die sich je nach Standort ausbilden können. Über die unterschiedlichen Verbreitungsstrategien von Wiesenpflanzen und ihr außerordentliches Erneuerungsspotenzial, das sie mehrmaliges Mähen im Jahr ertragen lässt, kommt der Autor zu der spannenden Frage, ob sich Wiesenpflanzen tatsächlich erst mithilfe des Menschen vergesellschaftet haben. Er zweifelt das an und vertritt die bisher noch nicht belegte These, dass es sich um einen uralten Lebensraumtyp handeln müsse. Zur Begründung verweist der Autor auf die Großwildherden, die vor dem Auftreten der Menschen die Ebenen Europas durchzogen und durch ihr Fressverhalten sicherlich auch schon damals parkähnliche Landschaften geschaffen haben, ähnlich wie es heute in den artenreichen Hutewäldern zu beobachten ist.
Immer wieder streut Haft interessante Details zu einzelnen Pflanzen- oder Tierarten oder biologischen Sachverhalten ein, beispielsweise zum Dreiecksverhältnis zwischen dem Großen Wiesenknopf, dem Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling und der Knotenameise. Aber auch zum Verhalten der Schneckenhaus-Mauerbiene beim Einrichten und Tarnen ihrer Brutstätte, oder zum Gesang von Heuschrecken, Zikaden und Wanzen. Dabei lässt er es nicht an Anekdoten mangeln, etwa über die Vorliebe Otto von Bismarcks für Kiebitzeier oder seine eigenen Erlebnisse mit der Ungarischen Wiesenotter bei einem Dreh in Ungarn.
Mit einem starken Plädoyer für den Erhalt der Wiesen und konkreten Vorschlägen hierzu beschließt Haft das Buch. Selbstverständlich, schreibt er, könnten in Städten, Gemeinden und Privatgärten diverse Biotope geschaffen werden – es sei aber letztlich eine großflächige, intakte Kulturlandschaft notwendig, um die am stärksten gefährdeten Arten wie den Großen Brachvogel zu erhalten. Haft plädiert deshalb für die Vermarktung der Biodiversität als Agrarprodukt. Es müsse sich für Landwirte lohnen, extensiv zu wirtschaften und auf Gewinnmaximierung zu verzichten, denn auch sie sollten von ihrer wichtigen Arbeit gut leben können. Den Einwand, dass Flächen für den Nahrungsanbau knapp seien und deshalb nicht weniger intensiv gewirtschaftet werden könne, kontert er mit dem Verweis auf jene 2,5 Millionen Hektar, die aktuell mit Energiepflanzen bestellt seien. Die gesamte EU-Agrarpolitik müsse revolutioniert werden, da ist sich Haft sicher. Das derzeitig praktizierte Zweisäulensystem, dessen ursprüngliche Idee es war, die Landwirtschaft in Europa ökologischer und nachhaltiger zu gestalten, sei wirkungslos geworden, nachdem es die mächtigen Bauernverbände unterhöhlt hätten.
Deutliche Worte, die von möglichst vielen Leser(innen) vernommen werden sollten.
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