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Zeitstrahl und Geschichtstabelle

Chroniken und Annalen sind wichtige Quellen zur mittelalterlichen Geschichte, denn sie liefern Angaben zu den Geschehnissen früherer Jahre. Aber sie haben oft keinen erkennbaren "roten Faden". Die bekannten Annalen der Fürstabtei St. Gallen beispielsweise berichten über unterschiedlichste Ereignisse, die auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang stehen: gute und schlechte Ernten, den Tod von Herrschern, Kriege und Naturkatastrophen. Zu manchen Jahren enthalten sie überhaupt keine Angaben. Die Schreiber selektierten offenbar nach festgelegten Kriterien, was dokumentiert werden soll und was nicht. Ihre Auswahl erlaubt Rückschlüsse auf zeitgenössische Geschichts- und Weltbilder. Die Annalen von St. Gallen etwa kann man so interpretieren, dass sich die damaligen Menschen Krisen und Katastrophen ausgesetzt sahen, die sie passiv erdulden zu müssen glaubten.

Die amerikanischen Historiker Daniel Rosenberg und Anthony Grafton untersuchen in ihrem Buch, wie sich chronologische und tabellarische Geschichtsdarstellungen entwickelt und immer wieder zu neuen grafischen Präsentationsformen angeregt haben. Diese sind aus der heutigen Geschichtswissenschaft nicht mehr wegzudenken. Sie geben historischen Erkenntnissen eine übersichtliche, einprägsame Struktur. Ihre Wurzeln reichen bis in die antike und mittelalterliche Welt zurück.

Das Vergangene im Blick

Erstaunlicherweise ist das Konzept der Zeitleiste mit aufsteigend angeordneten Jahreszahlen nicht älter als 250 Jahre. Als ihr Urheber kann der Theologe, Historiker und Naturforscher Joseph Priestley (1733–1804) gelten, der sie 1765 in seiner "Chart of Biography" einführte. Sie diente ihm dazu, Lebenslinien bedeutender Persönlichkeiten zu visualisieren, die sich dann zueinander in Beziehung setzen ließen.

Wie das 1844 in London entstandene Werk "Stream of Time" eindrucksvoll zeigt, wurde zu pädagogischen Zwecken auch gern auf die Tabellenform zurückgegriffen, die äußerst umfangreich werden konnte. "Stream of Time" war eine 10 Meter lange Rolle, die in einer dekorativen Box ausgeliefert wurde und den Verlauf der Geschichte darstellte, beginnend mit dem Jahr 4004 v. Chr., in dem nach Berechnungen des irischen Bischofs James Ussher (1581–1656) die Welt erschaffen worden sein soll. Eine linke Spalte enthält Daten der allgemeinen Geschichte, denen in einer rechten Spalte die biblische Chronologie, später auch Ereignisse der britischen Geschichte gegenübergestellt werden. Es war aber auch noch Platz, um die Angaben beispielsweise während des Geschichtsunterrichts um weitere Daten zu ergänzen.

Parade der Amtspersonen

Anhand vieler Beispiele zeigen die Autoren, wie sich grafisch-systematische Historiendarstellungen entwickelten und wie sie sich auf das Geschichtsbild auswirkten. Ein Thema ist auch, wie solche Darstellungen zum Demonstrieren herrschaftlicher Macht dienten – etwa die vom römischen Kaiser Augustus beauftragte, imposante Liste römischer Konsuln auf dem Forum Romanum, oder die von Albrecht Dürer (1471–1528) für Kaiser Maximilian I. entworfene, aber nicht umgesetzte "Ehrenpforte" mit ausführlichem Stammbaum der Habsburger.

Die mehr als 260 Abbildungen bieten eine große Fülle ästhetisch reizvollen Anschauungsmaterials. Im Fokus steht dabei die europäisch-amerikanische Welt. Wünschenswert wäre gewesen, nichteuropäische Kulturen stärker einzubeziehen. Dennoch eignet sich das Buch für Leser, die an der Entwicklung des heutigen Geschichtsbilds und an historischer Zeitrechnung interessiert sind.

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