Staubsauger und Geister
Über den Ursprung der Religion zu schreiben, ist stets ein Wagnis. Vor allem, weil es so schwierig ist, genau zu definieren, was eine solche Glaubensgemeinschaft eigentlich auszeichnet. Deshalb gibt es immer wieder neue Definitionen darüber, was religiöses Denken oder Handeln ist, wo es beginnt und wo es aufhört. Es gibt religionswissenschaftliche Definitionen, theologische, philosophische, kulturelle und viele andere mehr, die stets den weltanschaulichen Hintergrund der Verfasserin und des Verfassers mittragen.
Übernatürliche Phänomene
Der Ethnologe Hans Peter Duerr beschreibt in seinem neuen Buch »Diesseits von Eden« etwas, das man grob als »religiöse Erfahrung« benennen kann. Duerr bezieht sich dabei hauptsächlich auf Erlebnisse, in denen Menschen »übernatürliche« Wesen gesehen oder gespürt haben.
In der Episode »Geister und Staubsauger« wird die Problematik der Interpretation religiöser Erfahrungen besonders deutlich, wie eine Geschichte aus Schloss Hampton Court in London zeigt. Ein Korridor des Schlosses trägt den Namen »Haunted Gallery«, da dort immer wieder Geister beobachtet wurden. Die bekanntesten Untoten sind Anne Boleyn und Catherine Howard, Ehefrauen von Heinrich VIII, der sie hatte hinrichten lassen.
Ein Parapsychologenteam, ausgestattet mit einem Wärmesensor, beobachtete bei einer Untersuchung des Korridors an einem frühen Morgen, wie die Temperatur plötzlich anstieg, sich eine Tür öffnete und eine Person in die Galerie eintrat. Zum Team gehörte unter anderem eine Frau, die sich für die Reinkarnation Catherine Howards hielt und in der Erscheinung des »Geistes« genau ihren Alter Ego erkannte. Wie sich aber herausstellte, handelte es sich lediglich um eine Reinigungskraft, die einen Staubsauger aus einem Schrank holte, um mit ihrer täglichen Arbeit zu beginnen.
In diesem Beispiel ist es einfach, die Grenzen zwischen Religion und Interpretation zu bestimmen. Glücklicherweise hatte die Geschichte keine weiteren Konsequenzen, die für andere Menschen unangenehm wären.
Anders sieht es jedoch aus, wenn religiöse Erfahrungen oder Weltinterpretationen sich negativ auf die Mitmenschen auswirken, zum Beispiel im religiös sanktionierten Kannibalismus oder bei der Kopfjagd. Im südostasiatischen Raum übte man beide Praktiken bis in 20. Jahrhundert hinein aus. Die Vorstellung dahinter liegt darin begründet, der getötete Feind besäße eine Lebenskraft, die mit seinem Tod eine positive Wirkung auf Ernte, Jagd, Sexualität, Kinderreichtum und so weiter entfaltet. Sexuelle Gewalt und Folterungen des Feinds werden in diesem Rahmen ebenfalls gebilligt.
Im Norden Luzons (Philippinen) sind die Menschen aus dem Volk der Buaya noch heute davon überzeugt, es sei ihnen früher, zur Zeit der Kopfjagd, besser gegangen: Die Ernten seien reichhaltiger gewesen, und es hätte weniger Krankheiten gegeben.
Duerr führt in der Beschreibung religiöser Erfahrungen und Rituale den Leser um die ganze Welt und durch verschiedene Epochen der Menschheitsgeschichte. Sex mit Jesus, Sex mit Geistern und Dämonen, Besessenheit, Animismus, automatisches Schreiben und viele andere Phänomene im Umfeld des religiösen Denkens und Handelns nennt er in seinem Buch. Bisweilen braucht man schon starke Nerven, um die manchmal ganze Kapitel umfassenden Schilderungen von religiös interpretierter sexueller Gewalt, Kannibalismus, Folterungen und anderen verstörenden Ritualen durchzuhalten.
Leider bleibt die Frage ungeklärt, inwieweit die Menge an Themen, die der Autor darlegt, dazu beiträgt, den Ursprung der Religion zu erklären. Die summarische Zusammenstellung drastischer Formen religiösen Denkens und religiöser Rituale verschafft zwar einen guten Überblick, aber eine systematische religionswissenschaftliche Einordnung dieser Phänomene wäre wünschenswert gewesen, insbesondere hinsichtlich der ethischen Konsequenzen religiösen Handelns.
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