Der Mensch in der Automatenwelt
In die lebhafte Debatte über Wohl und Wehe der Digitalisierung schaltet sich nun auch Julian Nida-Rümelin ein. Er ist nicht nur Philosophie-Professor mit Schwerpunkt Ethik an der Münchener Universität, sondern hat sich auch politisch engagiert, unter anderem 2001/2002 als Kulturstaatsminister unter Kanzler Gerhard Schröder sowie 2009 bis 2013 als Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission. Es verspricht interessant zu werden, was der weltgewandte Denker, gewiss kein Stubengelehrter, über »eine Ethik für das Zeitalter der künstlichen Intelligenz« zu sagen hat.
Trockene Lektüre ist nicht zu befürchten, denn Koautorin Nathalie Weidenfeld steuert zu Beginn jedes Kapitels die kurze Nacherzählung eines bekannten Sciencefiction-Films bei. Da es dabei um autonome Roboter, virtuelle Realität und den Menschen gefährdende Hypertechnik geht, ist man gleich beim Thema.
Unterlegene Maschinen?
Nida-Rümelin bezieht eindeutig Position. Nach seiner Überzeugung kann es so etwas wie künstliche Intelligenz im Wortsinn gar nicht geben, denn echtes Denken sei ausschließlich uns Menschen vorbehalten. Nur unsereins vermöge ethische Entscheidungen zu treffen, nur wir könnten Gründe für dieses oder jenes Handeln abwägen. Maschinen, so der Autor, simulierten intelligentes oder moralisches Verhalten bloß – je nach ihrer Programmierung mehr oder weniger gut.
Der Autor verteidigt diesen Standpunkt, indem er scharf gegen »eine antihumanistische mechanistische Weltsicht« polemisiert, die durch die moderne Hirnforschung Auftrieb bekommen habe. Wörtlich: »Die Beobachtung einer neuronalen Korrelation darf uns nicht zu der (mechanistischen) Ideologie verführen, wonach alle menschlichen Entscheidungen mit Hirnaktivitäten zu identifizieren sind.«
Und womit sonst? Mit spontanen Wundertaten? Tatsächlich versteigt sich Nida-Rümelin kurz darauf zu dem Satz: »In Analogie zu einer mittelalterlichen Konzeption Gottes als unbewegtem Beweger ist der Mensch Akteur.«
Das kommt davon, wenn man wie Nida-Rümelin den Naturalismus, demzufolge in der Natur alles mit rechten Dingen zugeht und sich naturwissenschaftlich erklären lässt, explizit als »offensichtlich falsch« verdammt. Mit welcher Begründung? Weil, so der Autor, nur wir Menschen die Qualität einer Farbe erleben und Schmerzen empfinden, während Maschinen bestenfalls so tun können, als ob. Das ist das berühmte Qualia-Argument der Bewusstseinsphilosophen David Chalmers und Frank Jackson, dessen Diskussion dicke Bücher füllt. Demnach ist ein privates Farberlebnis etwas unaussprechlich Einmaliges und Eigenes, das niemals mit dem Lehrbuchwissen über Hirnvorgänge bei der Farbwahrnehmung erfasst werden kann.
Reden und Simulieren
Nur: Wie spricht man über Unaussprechliches? Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das Qualia-Argument als trügerische »Intuitionspumpe«, wie es der Philosoph Daniel Dennett genannt hat. Haben Tiere Qualia-Erlebnisse? Wer weiß. Oder sind sie Zombies, Automaten ohne Bewusstsein? Könnte eine autonome, lernfähige Maschine, deren Komplexität an die höherer Tiere heranreicht, niemals eine Art Innenleben entwickeln?
Ob ein Mitmensch bei einem schönen Sonnenuntergang irgendetwas oder gar exakt dasselbe erlebt wie ich, ist eine Frage der Kommunikation zwischen uns: Siehst du auch dieses leuchtende Rot dort hinten? – Oh ja, diesen Streifen am Horizont! Sobald wir über Erlebnisse reden, hören sie auf, private Qualia zu sein. Es könnte sogar sein, dass der Andere seine Freude über das Abendrot nur spielt, um mir eine Freude zu machen. Nicht nur Computer simulieren!
Nicht viel besser steht es um Nida-Rümelins Argument mit dem berühmten »chinesischen Zimmer«, das sich der Philosoph John Searle ausgedacht hat, um zu zeigen, dass Computer beim sturen Ausführen von Befehlen bloß so tun, als wüssten sie, worum es geht. Auch dieses Gedankenexperiment – ein Nichtchinese gibt nach mechanischen Regeln chinesische Schriftzeichen heraus und erweckt damit fälschlich den Eindruck, er verstehe Chinesisch – lässt sich als Intuitionspumpe entlarven.
Ärgerlich finde ich, dass Nida-Rümelin unterschlägt, welch lebhafte Kontroversen um diese Ideen entstanden, und dass er so tut, als wäre der Naturalismus ein für alle Mal erledigt. Das ist nicht nur philosophisch unredlich, sondern untergräbt auch das Anliegen des Buchs. Wenn angeblich von vornherein feststeht, dass die raffinierteste Maschine nie und nimmer dem dümmsten Menschen das Wasser reichen kann, wozu dann die ganze Aufregung? Lasst uns in aller Ruhe alles und jedes automatisieren, wir züchten damit eh nur mechanische Rechenknechte und dumme Toaster heran, in deren Mitte wir unnachahmlichen Geschöpfe unsere gottgleichen Gaben pflegen, während dienstbare Automaten uns hinten und vorn bedienen.
Unredlich ist auch der Gebrauch der Filmzitate, die für Nida-Rümelin immer nur die Überlegenheit des Menschen über die Maschine belegen sollen. In Wahrheit spielt die Sciencefiction längst alle möglichen Varianten einer epochalen Gefährdung des Menschentums durch. Entsprechend altbacken sind darum auch die Sinnsprüche zur digitalen Ethik, etwa: »Das Ziel des digitalen Humanismus ist die Stärkung der Urteils- und Entscheidungskompetenz und damit der individuellen und kollektiven Autonomie.« Es wäre nicht verwunderlich, wenn etliche Leser über solch inhaltsleerem Nominalstil einschliefen.
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