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Finstere Mächte im All

Lisa Randall ist keine Unbekannte. Die theoretische Physikerin von der Harvard University gilt als führende Forscherin ihres Fachs. Dem breiten Publikum ist sie bisher vor allem mit zwei Buchpublikationen aufgefallen. "Verborgene Universen" (2006) war eine dicht geschriebene, anspruchsvolle und sehr ergiebige Exkursion in die Relativitäts- und Stringtheorie, in Modelluniversen mit zusätzlichen Raumdimensionen und in Branenwelten. "Die Vermessung des Universums" (2012) fiel demgegenüber deutlich ab, vor allem wegen seines unübersehbaren Hangs zur Geschwätzigkeit. Geneigte Leser durften daher gespannt sein, wie wohl Randalls neuestes Werk, "Dunkle Materie und Dinosaurier", ausfallen werde.

Der Buchtitel klingt seltsam, und tatsächlich kündigt die Autorin eingangs eine steile These an. Sie vermutet, der Untergang der Dinosaurier vor rund 66 Millionen Jahren habe mit Dunkler Materie zu tun gehabt. In regelmäßigen Abständen durchquere unser Sonnensystem die mittlere Ebene der Milchstraße und treffe dort auf eine dichte Scheibe aus Dunkler Materie. Dies werfe etwa alle 32 Millionen Jahre vermehrt Kometen aus der Bahn, von denen einige schließlich auf der Erde einschlügen und Massenaussterben wie jenes am Ende der Kreidezeit auslösten.

Das ist eine interessante Idee, über die es zu diskutieren lohnt. Sie gibt einen längeren, aufschlussreichen Zeitschriftenartikel her oder auch einen packenden Essay. Allerdings trägt sie nicht über 420 Seiten. Und das ist das Problem dieses Buchs.

Das Beste zum Schluss

Randall muss irgendwie den Spannungsbogen bis zum Ende ihres Werks aufrechterhalten. In Ermangelung von Substanz tut sie das, indem sie die Erläuterung ihrer These ganz an den Schluss stellt. Wer von vorn nach hinten liest, muss sich also durch den kompletten Band arbeiten, bis er auf den letzten Seiten die Botschaft erfährt – zumal Randall keine Abkürzung vorsieht. Was eine, mit Verlaub, fast schon boshafte Hinhaltetaktik ist. Je weiter die Lektüre fortschreitet, desto ungeduldiger wünscht man sich, die Autorin möge endlich zur Sache kommen. Umso mehr, da sie sehr redundant formuliert.

Es ist nicht so, dass das Buch schlecht wäre. Randall unternimmt darin eine durchaus respektable Tour d' Horizon durch Astronomie und Kosmologie. Sie schildert den Aufbau des Sonnensystems mit Kuipergürtel und Oortscher Wolke, umreißt die Entdeckungsgeschichte der Dunklen Materie, geht auf Urknall und kosmologische Inflation ein und widmet sich der Strukturbildung im Kosmos. Sie befasst sich mit Kometen und Asteroiden, beschreibt historische Einschlagereignisse, skizziert die Bildung von Einschlagkratern und stellt die Massenaussterben der Erdgeschichte vor. All das fasst sie solide zusammen und reicht es gut verständlich dar – auch wenn man sich manchmal wünscht, sie möge etwas mehr ins Detail gehen. Dass die Autorin in den Lebenswissenschaften nicht ganz trittsicher wirkt, kann man ihr verzeihen: Hier zu glänzen, gehört nicht zu ihren Aufgaben.

Warten auf die Überraschung

Doch was Randall in dem Werk auf hunderten Seiten darlegt, ist nicht neu. Das hat man alles schon woanders gelesen, gehört und gesehen. Ungewöhnlich erscheint nur ihre Hypothese, wonach es einen Zusammenhang gibt zwischen Dunkler Materie und irdischen Massenaussterben. Aber die ist so überwältigend nun auch wieder nicht, dass sie einen unwiderstehlich durchs Buch zieht.

Die Lektüre wirft einige Fragen auf. Warum gibt sich eine Lisa Randall damit ab, ein mittelprächtiges Lehrbuch über Astronomie und Kosmologie zu verfassen? Warum wälzt sie etabliertes Wissen, das seit Jahren die Bibliotheken füllt? Dass die (grundsätzlich gelungene) Übersetzung ihres Werks hier und da noch zu dicht am amerikanischen Englisch klebt, dafür kann sie freilich nichts.

Interessierte Leser, die in Astronomie und Kosmologie wenig Vorkenntnisse haben, können von "Dunkle Materie und Dinosaurier" sicherlich profitieren. Die anderen jedoch dürften von dem Buch eher enttäuscht sein.

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