»Ein kleines Buch über den Ursprung des Universums«: Neuigkeiten übers Universum aus erster Hand
Der amerikanische Kosmologe Tony Rothman hat ausgezeichnete Referenzen. Mittlerweile emeritiert, lehrte er zuletzt an der renommierten Princeton University, wo früher auch Einstein wirkte. Zeitweise war er Herausgeber der Zeitschrift »Scientific American« und war mit seinen Sachbüchern sogar für den Pulitzer-Preis nominiert.
Im Original erschien das Taschenbuch 2022 als »A Little Book about the Big Bang«. Der englische Titel erinnert an »The Little Book of the Big Bang« von Craig Hogan aus dem Jahr 1998 (2000 bei dtv erschienen). Gibt es also Neues über das Universum und seinen Anfang zu berichten? In der Tat. Kaum hatte Hogan sein Manuskript eingereicht, erschütterte die Kunde von der beschleunigten Expansion die Fachwelt. Von einer Erklärung des seltsamen Phänomens ist man leider noch weit entfernt. Über all diese Entwicklungen berichtet Tony Rothmans »kleines Buch«.
Bei Übersetzungen englischsprachiger Sachbücher stößt man immer wieder auf inkompetente Formulierungen oder redaktionelle Mängel. Wie steht es also in diesem Fall mit der Übersetzung und der Arbeit der Redaktion? Hier muss man rororo ein Lob aussprechen. Es ist gelungen, einen flüssigen deutschen Text zu verfassen, an dem fachlich nichts auszusetzen ist. Das Buch enthält weder Fehler noch Mängel.
Man merkt gleich, dass der Autor vom Fach ist. Hier wird nicht allseits bekannter Stoff populärwissenschaftlich aufgehübscht. Rothman vermittelt Wissen aus erster Hand und spart auch nicht mit Kritik an der aktuellen Situation in der Kosmologie. Im Unterschied zu anderen Autoren kann er sich das auf Grund seiner Kompetenz erlauben. Trotz des spürbaren Frusts erkennt man seine Begeisterung für die Kosmologie. Der Leser wird in einen spannenden Konflikt hineinversetzt.
Das 205-seitige Buch enthält einige Grafiken, aber keine Formeln. Es lebt von seinem überzeugenden Text. Rothman gelingt es, selbst komplizierte Dinge verständlich darzustellen – und davon gibt es eine ganze Menge in der Kosmologie (die er übrigens klar von der Astrophysik abgrenzt). Die Einleitung ist mit einer bekannten Frage überschrieben: »Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?« Der Autor beschreibt hier Kosmologie zu Recht als einen Ort, an dem sich unvermeidlich Physik und Philosophie treffen. Er verfolgt den Plan, »diejenigen Fragen zu stellen, die Laien wie auch andere stellen, und zu versuchen, diese Fragen so einfach wie möglich zu beantworten«. Anschließend erklärt uns Rothman in 15 kurzen, aufeinander aufbauenden Kapiteln das Universum. Sein Plan geht voll auf.
Das erste Kapitel ist mit »Schwerkraft, Kürbisse und Kosmologie« überschrieben. Auf acht Seiten wird die Geschichte des Fachgebiets von Newton bis Einstein vorgestellt (was das mit Kürbissen zu tun hat, wird hier nicht verraten). Jedes Kapitel schließt, als Überleitung zum nächsten, mit einer Frage ab. Am Ende des ersten wird der Leser mit »Was ist relativ und was nicht?« auf die spezielle Relativitätstheorie eingestimmt. Die Reise führt weiter zur allgemeinen Relativitätstheorie, der unbestrittenen »Basis der Kosmologie«. Es folgen Kapitel über das expandierende Universum und die kosmische Hintergrundstrahlung. Die 1965 zufällig entdeckten Mikrowellen bezeichnet Rothman als »Rosetta-Stein der Kosmologie« und ihre extrem kleinen räumlichen Schwankungen, mittlerweile von Satelliten im Detail sichtbar gemacht, nennt er »Fingerabdrücke Gottes«. Der Autor geht immer wieder auf die geschichtlichen Hintergründe ein und spart auch nicht mit amüsanten Anekdoten.
Natürlich wird ebenfalls »Das dunkle Universum« behandelt. Laien stellen gerne die Frage: »Können Sie mir sagen, was Dunkle Materie ist?« Rothmans klare Antwort lautet »Nein« und er ergänzt lapidar: »Lassen Sie uns das Kapitel daher hier beenden.« Zum Glück geht es noch weiter, wobei sich das Dilemma im nächsten Kapitel noch steigert: »Das noch dunklere Universum«. Kosmologen haben zwar den beobachteten Phänomenen tiefsinnige Namen verpasst, »Dunkle Materie« beziehungsweise »Dunkle Energie«, doch ist damit irgendetwas erklärt? Tatsächlich sind das nur bloße Etiketten, denn niemand hat eine Ahnung, um was es sich handelt. Rothman setzt sich kritisch mit den üblichen Kandidaten für Dunkle Materie auseinander, etwa Schwarze Löcher oder exotische Elementarteilchen. Er hält auch nichts von der Idee eines modifizierten Gravitationsgesetzes.
Im nachfolgenden Kapitel »Inflation oder nicht – das ist hier die Frage« setzt sich der Autor mit der etablierten Vorstellung eines inflationären Anfangs des Universums auseinander. Dabei geht es auch um Einsteins kosmologische Konstante als mögliche Erklärung der Dunklen Energie. Seine geistreich formulierte Kritik, ebenso zu den Themen Feinabstimmung, anthropisches Prinzip oder Stringtheorie, spiegelt das allgemeine Unbehagen mit der aktuellen Situation in der Kosmologie wider. In den letzten Kapiteln werden alternative Konzepte diskutiert, denen Rothman auf Grund ihres spekulativen Charakters skeptisch gegenübersteht. In Anlehnung an eine berühmte scholastische Frage schreibt er: »Sind die Kosmologen dazu übergegangen, Engel auf Nadelspitzen zu zählen?« Und am Ende des Kapitels über die Quantengravitation lesen wir: »Sind wir in eine Ära postempirischer Wissenschaft eingetreten? Ist postempirische Wissenschaft ein Widerspruch in sich?«
Rothman ist ein besonderes Buch gelungen: klein, aber fein. Es ist trotz seiner populärwissenschaftlichen Aufmachung auf einem hohen fachlichen Niveau. Der Text ist flüssig und verständlich geschrieben. Seine kompakte Darstellung der Kosmologie umfasst alle wichtigen Themen und ist auf dem neuesten Stand. Zweifelhafte Aspekte der Theorie werden kritisch angesprochen. Im Anhang finden sich einige Literaturempfehlungen und ein ausführliches Register. Das Buch ist der ideale Einstieg, um sich eingehender mit Kosmologie zu befassen. Tony Rothman lässt auch immer wieder seinen Humor aufblitzen, etwa bei der Frage am Ende der Einleitung: »Sie sind doch Kosmologe. Können Sie mir einen kosmetischen Rat geben? Nein!«
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