Kreuz-und-quer-Fahrt durch die Astronomie
In jeder Buchhandlung gibt es sie in unzähligen Varianten: Bücher, die versprechen, wenn man diese oder jene 100 Orte gesehen habe, dann habe man die Welt gesehen. Nun gibt es auch die himmlische Variante: 100 Sterne, welche die Geschichte des Universums erzählen. Der Wissenschaftsautor und -kabarettist Florian Freistetter stellt uns seine Auswahl entsprechender Sonnen in diesem Buch vor. Über jeden Stern hat er ein kurzes Kapitel geschrieben, das erklärt, welcher Erkenntnisgewinn mit dem Himmelskörper verbunden ist. Eine schöne Idee, die sofort Lust macht, in dem Buch zu stöbern.
Kennen Sie beispielsweise 34 Tauri? Der britische Astronom John Flamsteed (1646-1719) hat diesen Stern katalogisiert und benannt, aber leider nicht verstanden, was genau er da 1715 in seinem Teleskop sah. Denn 34 Tauri gibt es nicht: Flamsteed hatte sein Fernrohr auf den damals unbekannten Planeten Uranus gerichtet. Wäre er etwas aufmerksamer gewesen, hätte er dessen Eigenbewegung bemerkt. Da er aber nicht sorgfältig genug arbeitete, blieb ihm die Sensationsentdeckung verwehrt, so dass Jahrzehnte später der Astronom Wilhelm Herschel die Lorbeeren dafür kassierte.
Distanzmarker im All
Bekannter als 34 Tauri dürfte Delta Cephei sein – ein heller, veränderlicher Stern, dessen Helligkeit streng periodisch schwankt, weil er pulsiert. Es gibt zahlreiche Sonnen dieses Typs, und die amerikanische Forscherin Henrietta Leavitt (1868-1921) hat entdeckt, dass es zwischen deren Pulsationsperiode und absoluten Helligkeit eine einfache Beziehung gibt. Das ist ungemein nützlich, denn so kann man leicht die Entfernung eines entsprechenden Himmelskörpers bestimmen: Kennt man seine Periode, dann zugleich auch seine absolute Helligkeit – und wenn man die mit seiner scheinbaren Leuchtkraft vergleicht, erhält man seine Distanz zu uns. Da Delta-Cephei-Sterne sehr hell sind, kann man sie sogar in anderen Galaxien sehen und folglich ebenso deren Abstand bestimmen. Das erlaubte zum ersten Mal den unzweifelhaften Nachweis, dass die Spiralnebel am Himmel extragalaktische Objekte sind.
Dies sind zwei schöne Beispiele für Geschichten über wichtige Sterne. Leider erweisen sich nicht alle Buchkapitel als so gelungen. Das über »Alkione«, den hellsten Stern in den Plejaden, beispielsweise nicht: Dieser Himmelskörper diente den Astronomen Georg von Peuerbach (1423-1461) und Johannes Regiomontanus (1436-1476) dazu, die Erdrotation zu vermessen. Ihre Studien aber als Vorarbeit zur kopernikanischen Revolution zu bezeichnen, ist etwas an den Haaren herbeigezogen.
Auch das Kapitel über »Ras Alhague«, den hellsten Stern im Ekliptik-Sternbild Schlangenträger, entpuppt sich als suboptimal. Ras Alhague dient Freistetter als Aufhänger, um den Unterschied zwischen astrologischen Sternzeichen und astronomischen Sternbildern zu thematisieren. Der Autor erklärt zwar korrekt, dass es 13 Sternbilder entlang der Ekliptik gibt, versäumt es aber, auf die Präzession der Erde einzugehen, die in den zurückliegenden Jahrtausenden zu einer Verschiebung zwischen Sternzeichen und -bildern geführt hat und deshalb in dem Zusammenhang unbedingt erwähnt werden sollte.
Während die beiden letztgenannten Kapitel vielleicht nur etwas ungeschickt erzählt sind, enthält das Buch leider auch inhaltliche Schnitzer. Zum Beispiel, wenn es um »Tyc 278-748-1« geht: Für diesen Stern haben Astronomen eine Asteroidenbedeckung nutzen können, um seinen Durchmesser aus dem optischen Beugungsmuster zu bestimmen, das sich als rasche Helligkeitsvariation messen lässt. Zwar verwendeten sie hierfür ein Gammateleskop, werteten aber keineswegs die Gammastrahlung des Sterns aus, wie im Buch behauptet, sondern dessen Licht im optischen Frequenzbereich. Auf das Gammateleskop fiel die Wahl nur deshalb, da es mit Photomultipliern ausgestattet ist, die Helligkeitswerte schnell genug erfassen können, um den Schwankungen in diesem Fall zu folgen.
Ein anderes Beispiel ist der Abschnitt über »PSR B1919+21«. Anhand dieses Pulsars erklärt Freistetter das Phänomen der Supernovae. Aber den Verlauf einer Supernova beschreibt er schlicht falsch. Die Neutrinos, die während des Sternkollapses entstehen und in hoher Zahl nach außen abgestrahlt werden, tragen wesentlich dazu bei, dass der Himmelskörper explodiert. Zu sagen, sie träten »so gut wie gar nicht in Kontakt« mit den äußeren Sternschichten, ist also einfach nicht richtig; man kann ohne diese Wechselwirkung gar nicht verstehen, warum es zu einer Explosion kommt. Derartige Fehler sind unverständlich, zumal der Autor als studierter Astronom vom Fach ist.
Auf der sprachlichen Ebene hingegen überzeugt das Werk: Es liest sich eingängig und flüssig und ist so kurzweilig, wie es sein Titel verspricht. Vermutlich wäre eine knappe, systematische Einführung in die Astronomie und ihre Größenskalen für wenig vorgebildete Leser von Nutzen, aber das widerspräche wohl der Grundidee des Buchs mit seinen kurzen Abschnitten, die sich auch mit einer sehr beschränkten Aufmerksamkeitsspanne lesen lassen. Da erscheint es nur konsequent, dass die Kapitel nicht logisch geordnet sind: Die Lektüre ist weniger eine Reise als eine astronomische Kreuz-und-quer-Fahrt.
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