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Die Idee vom Unermesslichen

Der Buchtitel ist durchaus wörtlich zu nehmen. Naturwissenschaftsdozent Brian Clegg beschreibt das mathematische Werden des Konzepts "Unendlichkeit" von der Antike bis zur Gegenwart. Dabei geht er auf die Paradoxa des Zenon von Elea (5. Jh. v. Chr.) ebenso ein wie auf den antiken Philosophen Aristoteles (4. Jh. v. Chr.), der mit seinem "potenziell Unendlichen" eine Notlösung schuf, um sich nicht mit dem wirklich Unendlichen beschäftigen zu müssen. Außerdem befasst sich der Autor mit den Pythagoreern, die Zahlen als mit der Schöpfung verbunden ansahen, sowie mit dem griechischen Mathematiker Archimedes (3. Jh. v. Chr.), der die damals gängige Vorstellung vom Unendlichen veränderte. In seinem Werk "Die Sandrechnung" hatte Archimedes abgeschätzt, wie viele Sandkörner das Universum auffüllen, das man sich damals viel kleiner vorstellte als heute. Er erhielt eine große, aber dennoch konkrete Zahl, was gegen die verbreitete Vorstellung sprach, die Zahl der Sandkörner sei unendlich groß.

Mit der Verbreitung des Christentums verbanden die Menschen das Unendliche zunächst mit Gott. Clegg zeigt aber auf, dass diese Assoziation nach und nach schwächer wurde. Während frühe Kirchenlehrer wie Augustinus von Hippo (354-430) noch davon ausgingen, Gott und das Unendliche seien wesensgleich (was die Allmacht Gottes einbezog), relativierte Thomas von Aquin (1225-1274) diese Vorstellung später in seinem Buch "Summa theologiae".

Im Dschungel der Mathematik

Als einen weiteren Zugang zum Konzept der Unendlichkeit stellt Clegg die irrationalen Zahlen vor, die, sozusagen im Dickicht der Mathematik lauernd, es "unmöglich machten, die Unendlichkeit völlig zu ignorieren […]". Doch Mathematiker machten lange Zeit einen Bogen darum, wie der Autor belegt. Carl Friedrich Gauß (1777-1855) habe die irreale Natur des Unendlichen betont und damit gewissermaßen die Haltung Aristoteles' bestätigt – eine Ansicht, die bis ins 19. Jahrhundert hinein dominierte. Gelegentliche Abweichler gab es allerdings, etwa Galileo Galilei (1564-1642), der seine Gedanken zur Unendlichkeit 1638 in seinem Werk "Discorsi e dimostrazioni matematiche" veröffentlichte. Ausgehend von der Annahme, die Materie werde durch so genannte Vakua zusammengehalten, untersuchte er, "ob man nicht irgendwie versuchen könnte, wie in einer continuirlich endlichen Strecke vielleicht nicht unendlich viele Hohlräume [Vakua] sein könnten" (aus der deutschen Übersetzung, Leipzig 1890). Am Ende seiner Betrachtungen stand die Erkenntnis, dass es möglicherweise verschieden große Unendlichkeiten gebe.

Zielsicher führt Clegg seine Leser durch die immer mehr an Fahrt gewinnende Geschichte der Mathematik, vorbei an ganz Großen wie Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und Isaac Newton (1643-1727) und deren Prioritätsstreit über die Erfindung der Infinitesimalrechnung. Schließlich schildert er seinen Lesern die gewissermaßen erste formale Zähmung der Unendlichkeit in Form des Grenzwertbegriffs, verbunden mit den Namen Augustin-Louis Cauchy (1789-1857) und Karl Weierstraß (1815-1897).

Eine erste Lanze dafür, dass die Unendlichkeit eine reale und nicht virtuelle mathematische Größe sei, habe der Priester und Mathematiker Bernardus Bolzano (1781-1848) gebrochen, schreibt Clegg. Auf ihn stützte sich der deutsche Mathematiker Georg Cantor (1845-1918), als er sein Bild der "wahren Unendlichkeit" entwickelte, das heute noch in Gebrauch ist. Um Cantors Gedanken nachvollziehen zu können, vermittelt Clegg einige Grundbegriffe der Mengenlehre, wobei er einen guten Kompromiss zwischen Tiefe und Verständlichkeit findet. Damit ausgerüstet kann man Cantors Kontinuumshypothese in Grundzügen begreifen, wonach die reellen Zahlen überabzählbar unendlich sind und damit eine größere Unendlichkeit darstellen als die natürlichen Zahlen.

Wo Raum und Zeit beginnen

In der Gegenwart angekommen, ordnet Clegg den Begriff der Unendlichkeit in das moderne physikalische Weltbild ein. Wo liegen nach heutiger Auffassung Anfang und Ende von Raum und Zeit? Wie weit lassen sich Raum und Zeit unterteilen? Und welche Antworten können Fraktale auf diese Fragen geben?

"Eine kleine Geschichte der Unendlichkeit" beschreibt nicht nur die historische Entwicklung eines mathematischen und philosophischen Konzepts, sondern gibt auch den Menschen dahinter eine Bühne und beleuchtet ihre Leidenschaft für das Thema. Das nimmt den Mathematikern und Philosophen ein Stück von ihrer vermeintlichen Weltfremdheit. Clegg wendet sich an Laien wie an Fachleute, bedient sich einer leicht zugänglichen Sprache, überfordert seine Leser an keiner Stelle und bringt dennoch alles Wesentliche auf den Punkt. Er scheint von der Unendlichkeit genauso fasziniert zu sein wie die Protagonisten seines Werks – und der Leser nach der Lektüre.

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