»Eine kleine Geschichte des Windes«: Atmen wir erst einmal tief durch
Wer regelmäßig aufmerksam durch Wälder spaziert, dem fallen umgestürzte Bäume, herabgefallene Äste und Blätter auf: häufig Zeugen kräftiger Herbstwinde. Der Wind begegnet uns überall, auf hoher See, in den Bergen, im Flachland, er ist Freund und Bedrohung zugleich. Wir nutzen ihn für die Erzeugung von Elektrizität, als Antrieb beim Segeln, freuen uns über die kühle Brise im heißen Sommer und bibbern angesichts »gefühlter« eisiger Temperaturen, wenn er uns im Winter die Kälte in die Kleider treibt. Und er kommt ausgiebig in allen Mythologien vor.
Selbstbewusst bringt es Kerstin Decker, promovierte Philosophin, Journalistin und Autorin, auf den Punkt: »Dieses Buch behauptet: Am Anfang war der Wind.« Er ist der erste Atemzug des Menschen (»ruach«) und der Atem Gottes (»ruach elohim«), der Heilige Geist und die griechische »pneuma« (»Seele«). Launisch, wie der Wind weht, wohin er will, springt die Autorin unvermittelt in alle Himmelsrichtungen, zudem vom Film in die Literatur, von der Antike in die Gegenwart, von der Technik zum Heiligen Geist, von der Stratosphäre in die Niederungen des Flachlands. Man muss sie schon beim Wort nehmen, wenn sie den Leser anfangs warnt: »So schnell, wie er umschlägt, wechseln auch hier die Perspektiven. Dieses Buch segelt mit allen Winden.«
Zweifellos: Kerstin Decker kann gut schreiben und spannend erzählen, und sie hat eine enorme Fülle an Material gesammelt. Sie erklärt, wie Meteorologen Windrichtungen in der Stratosphäre entdeckten, ebenso spannend, wie sich Segelschiffe von der Antike bis in die Neuzeit entwickelten. Sie springt vom Anfang des Films »Spiel mir das Lied vom Tod« zum Bau und der Funktion von Windmühlen, die Wasser fördern. Sie erzählt von Hermann Honnef, der Adolf Hitler davon überzeugen wollte, mit 430 Meter hohen Windkraftwerken, bestehend aus fünf gegenläufigen Rotoren, Deutschland unabhängig von anderen Stromquellen zu machen, und von Joseph Michel Montgolfier, der sah, wie heiße Luft den Unterrock seiner Frau hob, was ihn zum Bau des ersten Heißluftballons inspirierte.
Zu viele Fehler
Aber die raschen Orts-, Zeit- und Themenwechsel haben ihre Tücken: Die Autorin berührt alles nur flüchtig, es fehlt an Tiefe. Manches behauptet sie leicht dahin, was aber leider gar nicht stimmt. Weil die Autorin nur wenig in Anmerkungen belegt und ein Literaturverzeichnis fehlt, ist man auf Gedeih und Verderb ihrem Wissen beziehungsweise dem eigenen Vorwissen ausgeliefert. Entdeckt man Fehler, ist Skepsis die Folge. Die Gefahr ist groß, sich darin zu verlieren, ihre Aussagen zu überprüfen; die Lektürezeit läuft einem davon.
Fehler findet man aber zuhauf: Von einem Rahsegel auf einem altägyptischen Relief schreibt sie, es sei »rund 7000 Jahre alt« und setzt fort »Das heißt: Ein halbes Jahrtausend vor Christus segelten Menschen auf dem Nil.« Sie schreibt, »eine katholische Synode in Toledo habe im 8. Jahrhundert die Frage diskutiert, ob Frauen eine Seele haben«, und schließt: »Die Theologen hatten große Zweifel. Aristoteles ist schuld.« An dieser Behauptung stimmt nichts. Vermutlich meint sie die 3. Synode von Mâcon (585 n. Chr.), die eine irrige Meinung eines Bischofs korrigiert hat; mit Bezug darauf wird seit dem 17. Jahrhundert fälschlich behauptet, die Synode habe den Frauen eine Seele abgesprochen. Jedenfalls kann Aristoteles keine Schuld treffen: Seine Schriften wurden erst in der Hochscholastik (12./13. Jahrhundert) nach Übersetzungen aus dem Arabischen bekannt.
Die Schiffe von Magellan und Kolumbus nennt sie »Nao« und behauptet, das sei die Bezeichnung für »Schiff« im Portugiesischen. Auch das ist falsch. Im Portugiesischen gibt es nur »não« (deutsch »nein«). Schiff heißt im Portugiesischen »navio« oder »nave«. Vom Vulkanausbruch des Tambora auf Sumbawa im Jahr 1815 behauptet sie, dass kurz zuvor ein Tiefseekabel verlegt worden sei und die »telegrafisch vereinte Menschheit … vielerorts in spektakuläre Sonnenuntergänge« schaute. Dabei wurde das erste funktionierende Tiefseekabel erst 1851 zwischen Dover und Calais verlegt. Vom Vulkanausbruch erfuhr die Menschheit, weil das Folgejahr 1816 als das »Jahr ohne Sommer« in Erinnerung blieb.
Mit dem lockeren Stil geht die Genauigkeit verloren. Das Buch hätte ein besseres Lektorat verdient, um solche und weitere Fehler auszubügeln, die einem leicht die Lektüre verleiden können.
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