Von Gravitation bis Weltformel
Mit seiner speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie stellte Albert Einstein (1879-1955) das Grundverständnis von Raum und Zeit auf den Kopf. Zudem lieferte er wesentliche Beiträge zur physikalischen Chemie und Quantenmechanik. Der renommierte Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas, der bereits mit Büchern wie "Jenseits von Einsteins Universum" (2015) und "Einfach Hawking!" (2016) auf sich aufmerksam machte, hat sich nun der großen Herausforderung gestellt, Einsteins Lebenswerk auf gerade einmal 120 Seiten verständlich zu präsentieren.
Eingangs umreißt Vaas die schulische und universitäre Laufbahn des Physikers, die ihn zunächst nicht zu einer Professur oder einem Lehramt führte, sondern ins Berner Patentamt. Anschließend widmet sich der Autor den wissenschaftlichen Durchbrüchen Einsteins, während er dessen Privatleben nur sehr knapp abhandelt. Vaas beschreibt, wie die Unvereinbarkeit von klassischer Mechanik (mit der Galilei-Transformation) und Elektromagnetismus (mit der Lorentz-Transformation) Einstein dazu veranlasste, die etablierten Konzepte von Raum und Zeit zu revolutionieren. Dies war die Geburtsstunde der speziellen Relativitätstheorie, der zufolge bewegte Uhren langsamer gehen und bewegte Maßstäbe sich verkürzen. Wie klein diese Effekte in alltagsnahen Situationen allerdings ausfallen, macht Vaas anhand zahlreicher Beispiele und übersichtlicher Tabellen deutlich.
Der steinige Weg zu den Feldgleichungen
Nach der 1905 publizierten speziellen Relativitätstheorie wendete der Physiker sich einem weitaus schwierigeren Projekt zu: der allgemeinen Relativitätstheorie. Er brauchte zehn Jahre, um sie auszuarbeiten. Vaas erklärt anschaulich, wo der Ausgangspunkt von Einsteins Überlegungen lag. Dessen Kollege Paul Ehrenfest (1880-1933) hatte festgestellt, dass eine sehr schnell rotierende Scheibe, die den Gesetzen der speziellen Relativitätstheorie genügt, nur durch eine gekrümmte Raumzeit beschrieben werden kann. Einstein setzte voraus, dass die träge gleich der schweren Masse ist, dass sich also Trägheitskräfte wie bei der rotierenden Scheibe nicht von Gravitationskräften in Schwerefeldern unterscheiden lassen. Demnach, so seine Überlegung, müssen auch Objekte, die eine Schwerkraft ausüben, die Raumzeit krümmen – analog zur rotierenden Scheibe.
Von diesem Gedanken bis zu den Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie war es jedoch ein langer und mühsamer Weg. Einstein musste sich die nötige Mathematik weitgehend selbst aneignen und verirrte sich während der Ausarbeitung des Formalismus mehrmals in Sackgassen. Diese Kraft raubenden Schritte schildert Vaas ausführlich und zitiert dabei Wissenschaftler, die Einstein von seinem Vorhaben abbringen wollten. Max Planck (1858-1947) sagte ihm beispielsweise: "Als alter Freund muss ich Ihnen davon abraten, weil Sie einerseits nicht durchkommen werden; und wenn Sie durchkommen, wird Ihnen niemand glauben."
Lackmustest Merkur
Entgegen Plancks Erwartung kam Einstein durch, und seine Theorie erschütterte die Grundfesten der Physik. Empirisch bestätigt wurden seine Feldgleichungen unter anderem dadurch, dass sie den richtigen Wert für die Periheldrehung des Merkurs lieferten. Das zugehörige Kapitel im Buch ist packend geschrieben; vor allem die vielen persönlichen Zitate vermitteln Einsteins Euphorie, nachdem er es geschafft hatte: "Ich war einige Tage fassungslos vor freudiger Erregung."
Vaas schildert verschiedene Anwendungsbereiche der einsteinschen Gravitationstheorie, die Designer Gunther Schulz passend illustriert hat. Unter anderem erfahren die Leser, dass Licht von schweren Objekten abgelenkt wird, was den so genannten Gravitationslinseneffekt ermöglicht, der Astronomen bei ihren Beobachtungen hilft. Auch geht der Autor auf die 2016 nachgewiesenen Gravitationswellen ein.
Die letzten beiden Kapitel des Bands fallen sehr knapp aus. Sie handeln von Einsteins Beiträgen zur Kosmologie und Quantenphysik. Viele Jahre lang diskutierte der Physiker mit Kollegen über mögliche Formen, die das Universum seiner Theorie zufolge haben könnte. Vaas stellt aber nur eines dieser Modelle vor. Auch auf die Beschreibung des fotoelektrischen Effekts, für die Einstein den Nobelpreis erhielt, geht der Autor nur kurz ein. Einstein zeigte damit auf, dass Licht nicht nur als Welle betrachtet werden kann, sondern auch Teilcheneigenschaften besitzt und seine Energie gequantelt überträgt. Den letzten Jahrzehnten im Leben des Physikers, in denen dieser sich mit Quantenmechanik und der Suche nach einer "Weltformel" befasste, widmet Vaas lediglich eine Hand voll Seiten.
Das Werk bietet interessierten Lesern – ob mit oder ohne physikalische Vorkenntnisse – einen anschaulichen Überblick über das Thema und vermittelt in zahlreichen Zitaten einen Einblick in Einsteins Persönlichkeit. Die begleitenden Illustrationen sind optisch bereichernd und stellen die wissenschaftlichen Sachverhalte verständlich dar. Auch finden sich einige beispielhafte Rechnungen und Ergebnisse von Experimenten, die zur Überprüfung von Einsteins Vorhersagen dienten. Vaas gibt dabei stets Messungenauigkeiten an und erläutert, wie genau Einsteins Modelle bisher bestätigt wurden. Leider enthält sein Buch nur wenige biografische und geschichtliche Hintergründe, auch wenn sich auf dem Einband ein stichwortartiger Lebenslauf des Physikers findet. Dafür bekommen neugierige Leser am Ende des Bands etwa zwei Dutzend hilfreiche Literaturempfehlungen.
Wer tiefer ins Thema einsteigen möchte, dem sei Vaas’ wesentlich gehaltvolleres Werk "Jenseits von Einsteins Universum" empfohlen, das nur etwa anderthalbmal so viel kostet, aber mehr als viermal so viele Seiten umfasst und inhaltlich deutlich ergiebiger ist – aber auch weitaus anspruchsvoller.
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