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Entlehnt und angeeignet

Im Deutschen finden sich Lehnwörter aus mehr als 100 verschiedenen Sprachen. Auch vermeintlich urdeutsche Begriffe gehören dazu.

Wer über Sprache redet, operiert nicht selten mit Begriffen aus der Evolutionsbiologie. So heißt es, die »Familie« der romanischen Sprachen »stamme« vom Lateinischen ab, oder Latein sei der »gemeinsame Vorfahr« der romanischen Sprachen. Und das Verhältnis zwischen dem (rekonstruierten) Indogermanischen und seinen »Abkömmlingen« oder »Tochtersprachen« wird mitunter bis heute in Gestalt eines Stammbaums visualisiert – ganz analog zu einem Artenstammbaum.

Da muss man schon aufpassen, es mit der Analogie nicht zu übertreiben. Das Vokabular einer Sprache zu betrachten, ist ein gutes Gegenmittel. Während nämlich Erbanlagen beispielsweise eines Elefanten nicht einfach mal so in das Genom einer Kreuzspinne hüpfen können, vermögen sich Wörter problemlos über den ganzen Globus zu verbreiten und in Sprachen unterschiedlichster Herkunft und Ausprägung einzugehen. Zwar gibt es Bereiche des Wortschatzes, die gegen solche Fremdeinflüsse weitgehend resistent sind, Zahlwörter zum Beispiel. Aber speziell was materielle Kultur oder auch Tier- und Pflanzennamen angeht, wird mit der Sache selbst häufig auch das Wort dafür übernommen.

»Schokolade« ist aztekisch

So geschehen bei der »Tomate« oder der »Schokolade« – beide entstammen der Aztekensprache Nahuatl. Wenn ein solcher Begriff lange genug da ist und nicht dem Furor von Sprachreinigern zum Opfer fällt, nimmt er an den Entwicklungen der jeweiligen Empfängersprache teil. Irgendwann wissen höchstens noch Linguisten, dass es sich um ein Wort mit Migrationshintergrund handelt. Den wenigsten Deutschen dürfte beispielsweise klar sein, dass die so schön urdeutsch klingenden Begriffe »Ziegel« und »Straße« lateinischen Ursprungs sind, abgeleitet nämlich von tegula beziehungsweise (via) strata. Man spricht dann von einem Lehnwort im Gegensatz zum Fremdwort. Lehnwörter können zu vielen sprachgeschichtlichen Fragen, etwa zur Datierung von Lautwandelprozessen, wichtige Hinweise liefern.

Sprachhistorische Details sind aber nicht das, wofür sich der Journalist und Germanist Matthias Heine in diesem Buch interessiert. Ihm geht es darin lediglich um den anekdotisch erbrachten Nachweis, dass im zeitgenössischen Deutschen Wörter aus mehr als 100 verschiedenen Sprachen heimisch geworden sind. Zu ihnen zählen Idiome, deren Namen die meisten Leser und Leserinnen einschließlich der Rezensentin noch nie gehört haben dürften, wie Darug aus New South Wales, dem wir den »Bumerang« verdanken. Oder Tunumiisut aus Ostgrönland, aus dem wir das »Kajak« entnommen haben.

Wie weit Heine in der Geschichte eines Worts zurückgeht, entscheidet er von Fall zu Fall. Dass der »Clown« letztlich auf das lateinische colonus (Bauer, Siedler) zurückgeht, ändert natürlich nichts daran, dass wir das Wort aus dem Englischen haben, wie sowohl die Schreibung als auch die Bedeutung zeigen. Daher ordnet es Heine auch ganz zu Recht als englisches Wort ein. Beim »Zucker« aber geht er mehr als nur einen Schritt zurück – er klassifiziert den Begriff als arabisch, obwohl dieser nicht direkt aus dem Arabischen, sondern über das Italienische (oder auch Sizilianische) zu uns gekommen ist.

Darin liegt natürlich eine Krux: Viele Wörter mit exotischem Pedigree sind nämlich nicht direkt eingewandert, sondern haben den Weg über andere Sprachen genommen. Wörter aus indischen Sprachen beispielsweise oft über das Englische (etwa der »Dschungel« und der »Bungalow«), aber diese deshalb konsequent unter »Englisch« zu verbuchen, wäre natürlich deutlich weniger spektakulär gewesen. Leider geht darob die eigentlich interessante Beobachtung unter, dass die deutsche Lautung mit /u/ sich einer Fehlaussprache des englischen Buchstabens <U> verdankt, der in englischen Wörtern für ein /a/ steht, denn im indischen Original lauteten die Wörter mit /a/, also jaṅgal (Hindi) und baṅgla (Gujarati).

Ein bisschen verwundert ist man, dem »Nordlicht« als dänischem Wort zu begegnen, denn es wurde dem dänischen nordlys nur nachgebildet. Damit macht Heine aber unvermittelt ein ganz anderes Fass auf, nämlich das der Lehnbildungen, also der Nachbildungen fremder Wörter aus einheimischem Wortmaterial. Etwa im »Wolkenkratzer«, für den der sky scraper Pate stand: ein Verfahren, auf das gerade Sprachreiniger gern zurückgreifen.

Doch sollte man solche kleineren Inkonsistenzen in einem Buch nicht überbewerten, das einfach Wortgeschichten erzählt und weder auf Vollständigkeit noch Systematik der Darstellung Anspruch erhebt – das macht Heine ja schon durch die alphabetische Anordnung deutlich. Amüsant ist die Lektüre auf jeden Fall, und wenn die Leser die Erkenntnis mitnehmen, dass der deutsche Wortschatz ein wesentlich bunterer Flickenteppich ist, als viele annehmen, hat das Büchlein gar nicht wenig erreicht.

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