Von wegen Krankheit
Man sagt der Einsamkeit viel Übles nach: Sie ist so ungesund wie Rauchen, Übergewicht oder Alkohol und erzeugt Stress. Und da dauerhafter Stress die Funktion unseres Immunsystems herabsetzt, hängt Einsamkeit mit einem breiten Spektrum an Erkrankungen zusammen, die der Psyche zusetzen und Menschen früher sterben lassen. Der Bestsellerautor Manfred Spitzer ging vor rund zwei Jahren in seinem viel gelesenen Buch noch einen Schritt weiter: Einsamkeit sei selbst eine noch unerkannte Krankheit.
Unsinn, behauptet Jakob Simmank, der am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften promoviert hat und als Wissenschaftsjournalist arbeitet. Zunächst einmal sei Einsamkeit ein ambivalentes Gefühl, keine Krankheit. In fünf Kapiteln erklärt er, wie sie zu einer solchen stilisiert wurde. Und hält dagegen, dass es auch eine »gute« Einsamkeit gibt – als Quelle des Glücks und der persönlichen Reifung.
Einsamkeit ist Privatsache
Das eigentliche Problem sei nicht die Einsamkeit, sondern vielmehr die objektiv messbare soziale Isolation, die auch von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt. Mit Verweis auf Studien untermauert Simmank: »Wie strapazierfähig das soziale Netz eines Menschen war und wie viel soziale Unterstützung er erhielt, wirkte sich (…) stärker auf die Gesundheit aus als die gefühlte Einsamkeit. Den stärksten Einfluss auf die Sterblichkeit hatte, ob Menschen objektiv sozial isoliert waren.« Es habe etwas Übergriffiges, den Menschen aus seiner Einsamkeit befreien zu wollen – diese sei wie andere Gefühle auch »Privatsache«. Im Gegensatz dazu gebe es viele konkrete und unverfänglichere Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen der sozialen Isolation zu justieren. Wenn beispielsweise als Sparmaßnahme Busverbindungen zwischen Dörfern reduziert werden, hat das für Einzelne zur Folge, dass sie ihre Freundschaften nicht mehr adäquat pflegen können, wie der Autor verdeutlicht. Er mutmaßt, dass der Einsamkeitsdiskurs der letzten Jahre gezielt emotionalisiert und psychologisiert wurde. Damit werde der Blick weg von politischen Entscheidungen, die nicht dem Gemeinwohl und der sozialen Gerechtigkeit dienen, hin zum Individuum gelenkt, das für seine Einsamkeit selbst verantwortlich gemacht wird.
Der Autor scheut sich nicht, im Kapitel »Was nun geschehen muss« konkrete Vorschläge zu formulieren. Es sei das Gebot der Stunde, die Sorgearbeit (wie Kinderbetreuung oder Altenpflege) aufzuwerten und stärker wertzuschätzen, lokale Netzwerke zu festigen sowie Orte und Zeiten der Begegnung zu schaffen. Nicht zuletzt hält er es für entscheidend, die grassierende Altersarmut zu bekämpfen, da diese eine »der häufigsten Ursachen für soziale Isolation« ist.
Floskeln wie »Wir werden einsam geboren, sterben einsam und werden immer wieder im Leben Phasen der Einsamkeit erleben« sind in diesem schön geschriebenen Buch zum Glück die Ausnahme. Gleichwohl fällt auf, dass auch Simmank sich schwertut, eine konsistente Definition der »Einsamkeit« zu liefern. Sicher ist diese ein Gefühl, aber eben noch viel mehr … Widersprüchlich wirkt auch, auf der einen Seite Einsamkeit als »Privatsache« abzutun (gerade wenn man bedenkt, dass bedrohliche Formen der Einsamkeit auf gesellschaftliche Missstände zurückgeführt werden müssen), auf der anderen Seite durch Aufklärungskampagnen eine Entstigmatisierung zu fordern und damit »den Betroffenen als Gesellschaft die Hand auszustrecken«. Ab und an erhält man den Eindruck, dass Simmank das Thema soziale Isolation gegen das der Einsamkeit ausspielen will. Dabei sind es schlicht zwei unabhängige Konzepte in der Forschung, die sich mitunter überlappen, wenn man ihren Einfluss auf unsere Gesundheit erforscht.
Diese kleinen Makel fallen allerdings kaum ins Gewicht. Jakob Simmank legt insgesamt eine besonnene und kluge Analyse vor – einen wohltuenden Kontrapunkt zu den dominierenden Darstellungen zum Thema Einsamkeit.
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