Informatik mit Humor
Informatik ist ein sperriges Fach. Die meisten Menschen haben keine konkrete Vorstellung von Algorithmen oder Caches, obwohl sie täglich damit in Berührung kommen. Sei es im Zusammenhang mit einem Buchungsportal, einer Bürosoftware oder einer Suchmaschine. Und wohl jeder hat schon mal einen Systemabsturz erlebt. Der Informatiker Reinhard Wilhelm, emeritierter Professor an der Universität des Saarlandes, nähert sich der eigenen Disziplin mit Humor. In diesem Büchlein versammelt er verschiedene Glossen, die zwischen 2012 und 2020 in der Fachzeitschrift »Informatik Spektrum« erschienen sind. Es ist ein bunter Blumenstrauß an Themen, von der Navigationstechnik über Sprachsteuerung bis hin zur Energiewende.
Kommunikative Belastungsproben
Wilhelm schreibt humorvoll und mit viel Selbstironie über die Tücken der Alltagstechnik, zum Beispiel über selbstaktivierte Anrufe per Sprachsteuerung: »Einmal bewundernd ›Mamma mia!‹ ausgestoßen und schon wird die im Adressbuch verzeichnete Telefonnummer der Mama angerufen.» Das kann schon mal zu kommunikativen Belastungsproben führen – zumal für Informatiker, bei denen es sich laut Wilhelm um »kommunikationsgestörte, zur Vereinsamung neigende Nerds« handelt. Besonders erheiternd ist die Glosse über Algorithmen. Darin greift der Autor ein Zitat von Mercedes-Teamchef Toto Wolff auf, der nach der verfehlten Boxenstoppstrategie für Lewis Hamilton beim Formel-1-Rennen in Monaco sagte: »Irgendetwas in der Mathematik, im Algorithmus, in den Daten hat nicht gestimmt.«
Der Algorithmus, konstatiert Wilhelm, sei als die »moderne Menschheitsplage« enttarnt worden. »Es rückte blitzartig ins Bewusstsein der Menschen, dass Algorithmen ihr Kaufverhalten analysieren und daraus schließen, dass nur Ekelfleisch alle ihre preislichen Anforderungen erfüllt, (…) dass Algorithmen ihre politischen Präferenzen analysieren und ihnen voraussagen, dass sie eine Chaotentruppe mit kurzer Halbwertszeit wählen werden«, schreibt Wilhelm. »Wir Informatiker können uns da nur wundern. Denn wir wissen ja schon lange, dass Algorithmen das schlechte Wetter für das Ausflugswochenende, falsche Boxenstoppempfehlungen, die niedrigen Ausschüttungen an die Lebensversicherungsnehmer und die hohen an die Lebensversicherungsgeber ausgerechnet haben.«
Die glossierende Betrachtung entlarvt so manche falsche Vorstellung über Technik. Süffisant beschreibt der Autor die Wirkung personalisierter Werbung: »Man stelle sich vor, Google müsste Abstand davon nehmen, uns mit Werbung zu beglücken! Da würden wir doch glatt den Entzug kriegen. Oder uns, weil es unsere Vorlieben nicht intensiv genug erforscht hat, ungezielt mit Werbung vollmüllen! Unvorstellbar! Der reine Horror! Wir würden wahrscheinlich auf der Stelle werbeblind oder werbeallergisch werden und könnten gar nicht mehr von Werbung profitieren.« Wie gut erscheine es da, dass wir Werbung als »personalisierte Medizin« verabreicht bekommen. An solchen Stellen offenbart sich Wilhelms kabarettistisches Talent.
Die erratischen Bilderkennungssysteme, die Fahrradträger mit querenden Fahrrädern verwechseln und eine Vollbremsung auslösen, klagt er nicht als Übel der Technik an, sondern ironisiert sie mit spitzer Feder.
Der Autor erzählt, wie er sich als Kind einen Spaß daraus machte, die neu installierte Fußgängerampel in seinem Dorf auf Rot zu schalten und so einen Stau hervorzurufen. Das Schelmisch-Spitzbübische ist Wilhelm geblieben. Dem Vorwort ist zu entnehmen, dass er die Satirenschreiberei in den 1970er Jahren mit seinem früh verstorbenen Kollegen und Freund Harald Ganzinger an der TU München begann. Damals mokierten sie sich über die Juristenprosa des bayerischen Innenministeriums.
Wilhelm beherrscht nicht nur Programmiersprachen, sondern auch die Sprache der Satire. Für seine Technikkritik wählt er das Florett der Ironie. Er doziert nicht, sondern erzählt, und das macht das Buch so stark. Wobei der Buchtitel reinstes Understatement ist: Wilhelm ist ein preisgekrönter Wissenschaftler. So wurde er unter anderem mit der renommierten Konrad-Zuse-Medaille ausgezeichnet.
Mancher Kalauer (»PNAS, nicht zu verwechseln mit PEANUTS«) wie auch die etwas arg ausgetappten Schilderungen zur »Besenkammer-Affäre« von Boris Becker wären sicher verzichtbar gewesen. Aber Humor ist bekanntlich Geschmackssache. Wilhelm hat eine ebenso geistreiche wie unterhaltsame Glossensammlung vorgelegt, die auch dem Laien komplexe Zusammenhänge der Informatik verständlich macht.
Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und Springer-Verlag GmbH gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel aus dem Springer-Verlag mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.
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