Bodenlos und abgrundtief
Historisch betrachtet war der Niedergang früherer Hochkulturen immer auch verknüpft mit einem Mangel an fruchtbaren Ackerflächen. Landwirtschaftlich nutzbarer Boden wurde schon damals schneller verbraucht, als er sich neu bereitstellen ließ. Technische Verbesserungsstrategien können nachlassende Erträge wieder steigern, aber bis in die jüngste Vergangenheit wurde Bodenverlust immer auch durch Erschließung von Neuland kompensiert. Nun ist das Ende der Fahnenstange erreicht: Neuerschließungen landwirtschaftlich nutzbaren Bodens sind erstmals rückläufig, schreibt Gerth M. Neugebauer. Über den Autor lässt sich nicht viel herausfinden, und Kontaktanfragen über den Verlag blieben unbeantwortet. Nichtsdestoweniger ist sein Buch bemerkenswert.
Der Band legt schonungslos und teils rüde offen, wie nachlässig wir uns dem Schutz einer derart grundlegenden Ressource wie fruchtbarem Boden widmen. Erosion, Rutschungen und Überschwemmungen, Kontamination, Versalzung und Versauerung, Verdichtung, Versiegelung, Minderung der biologischen Vielfalt und Wüstenbildung stellen weltweit seine Hauptbedrohungen dar. Täglich verschwinden Bodenflächen in Schwindel erregenden Größenordnungen. Und dies wird sich ungehemmt fortsetzen, da alle bisherigen Versuche, die Bodenverluste einzudämmen, überaus ineffizient bleiben. Warum das so ist, erklärt Neugebauer am Beispiel Spaniens.
Ausverkauf des Planeten
Spanien sei der Rekordhalter in Sachen Bodenvernichtung und zugleich die "größte europäische Geldwaschanlage", so Neugebauer, der laut Angaben im Buch "ehemaliger Referent einer deutschen Landesbehörde, Museumsdirektor und Universitätsdozent" ist und Forschungen zur Geschichte der Kulturlandschaft und Architektur geleitet hat. Basierend auf den Ergebnissen jahrelanger Studien berichtet er detailreich vom Ausverkauf spanischen Bodens entlang der Mittelmeerküste. Immobilienspekulation und Landwirtschaftsindustrie führten bis heute zu eklatanten Verlusten fruchtbaren Bodens, abgesegnet von den jeweils politisch Verantwortlichen und unterstützt von – nicht selten unsachgemäß vergebenen – EU-Fördergeldern. Neugebauer schreibt von einem "kriminellen Netzwerk aus Bauunternehmern, Bürgermeistern, Baubeamten, Bankdirektoren, Anwälten, Notaren, Maklern, Gutachtern, Architekten und Investoren", das hier am Werk sei. Mit Begriffen wie "urbaner Tsunami", "Immobilien-Hurrikan", "urbane Goldgräberstimmung", "Golfmanie" sowie "Geisterautobahnen" und "größtes Treibhausgebiet der Welt" umschreibt er drastisch die unverantwortlichen, einzig auf Profit ausgerichteten Machenschaften und deren teils absurde und ökologisch katastrophale Folgen.
Indessen sind fehlende (über)regionale Raumplanung und mangelhafte Trennung von Genehmigungs- und Kontrollinstanzen nicht allein spanische Phänomene, wie der Autor darlegt. Kommunale Interessenpolitik, interkommunaler Wettbewerb um Gewerbe und Arbeitsplätze sowie die Überforderung behördlicher Sachbearbeiter im Umgang mit Lobbyisten lieferten kostbaren Boden in zahlreichen Ländern unbedachten Eingriffen aus.
Der Autor belässt es nicht bei der Offenlegung der Missstände, sondern wirbt eindringlich für eine gesellschaftliche Veränderung. Er zeigt Ansätze auf, die vielerorts einen Sinneswandel und eine neue Ethik erkennen lassen – weg von Egozentrik, Profitstreben und Wachstumswahn und hin zum Gemeinwohlstreben. Als Beispiel führt er den urbanen Gartenbau an, der Stadtmenschen zurück zur Natur und zum Gemeinschaftsdenken führt und gleichzeitig die scharfe Grenze zwischen Stadt und Land auflöst. Oder die Verwendung von "Terra Preta", einer außerordentlich fruchtbaren Komposterde, die ausgelaugte Böden aufbessert. Auch die Anwendung ganzheitlicher Anbaumethoden lobt Neugebauer, etwa die Permakultur und den ökologischen Landbau. Als politische Instrumente sollten ein nachhaltiger Boden- und Kulturlandschaftsschutz samt EU-Bodenschutzgesetz, eine ökologische Steuerreform und ein gemeinwohlorientiertes Bildungswesen den Wandel unterstützen, meint er.
Zwielichtiger Stil
Im Nachwort verbittet sich der Autor eine Vorverurteilung durch Leser und rügt, wer die Wahrheit sage, werde "schnell polarisierend als politisch extrem links oder rechts" angegriffen. Er weiß schon, warum, denn um der Dringlichkeit des Themas Ausdruck zu verleihen, ist er nicht zimperlich bei der Wortwahl. So schreibt er, dass wir "uns mitten in einer entarteten Demokratie (befinden), die man eher als Ochlokratie, das heißt 'Pöbelherrschaft der Reichen' mit ihren willfährigen Gefolgsleuten bezeichnen kann", oder auch vom "sozialen und kulturellen Selbstmord Spaniens, dessen Ausgangspunkt man in der starken Überprägung der einheimischen Kultur durch ausländische Touristen, integrationsfeindliche Residenten sowie die vielen illegalen Arbeiter aus Nordafrika und Lateinamerika sieht". An anderer Stelle kontrastiert Neugebauer die enorme Jugendarbeitslosigkeit in Spanien mit den "illegalen Billiglohnarbeitern aus Afrika" – ein unlauterer Versuch, Fronten aufzubauen, wo keine sind, denn wie viele der spanischen Jugendlichen wären denn bereit, die Billiglohnarbeit der Migranten zu übernehmen? Wer so formuliert, muss damit rechnen, gesinnungspolitisch zugeordnet zu werden.
Es ist schade und völlig unnötig, dass sich der Autor derart ins Zwielicht stellt. Die Brisanz des Themas erfordert zweifellos eine aufrüttelnde Rhetorik, darf aber gerade nicht politisch diskreditiert werden. Dass Neugebauer es für nötig befindet, Schutzvorkehrungen gegenüber scharfen Repliken zu treffen, lässt in einen tiefen Abgrund blicken. Wahrlich ein heißes Thema!
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