Buchkritik zu »Expeditionen ins Reich der Seuchen«
Auf dem Titelbild watet ein Weißer hüfttief durch ein tropisches Gewässer, die Pistole vor der Brust hochgeschnallt, während zwei Eingeborene starr in die Kamera schauen. Gleichzeitig schiebt sich von oben bedrohlich der – rasterelektronenmikroskopisch abgebildete und dramatisch kolorierte – Kopf einer Tsetsefliege ins Bild.
Das umreißt treffend das Thema des Buchs. Die Düsseldorfer Professoren Johannes W. Grüntzig und Heinz Mehlhorn – der eine Ophthalmologe, der andere Parasitologe – wollen die Ergebnisse bahnbrechender Forschungsarbeiten über exotische Krankheitserreger beschreiben und sie gleichzeitig in ihren historischen Kontext stellen. Dabei geht es weniger um die – häufig genug referierten – Fakten, sondern um die Menschen und die Ereignisse hinter ihren wissenschaftlichen Pioniertaten.
Bis zur Gründung des neuen Deutschen Reichs im Jahr 1871 konnten nur England und Frankreich auf umfang-reichen Kolonialbesitz zurückgreifen. Nachdem man sich in Berlin 1884 entschlossen hatte, dem "imperialistischen Klub" beizutreten, rückte das Reich mit deutscher Gründlichkeit sehr rasch in die vorderste Reihe der Kolonialmächte auf und verfügte innerhalb weniger Jahre über große Gebiete in Afrika, Asien und in der Südsee, die wirtschaftlich genutzt werden sollten. Auf seinem Höhepunkt im Jahr 1913 umfasste der deutsche Kolonialbesitz das heutige Kamerun, Togo, Tansania, Namibia sowie zahlreiche Territorien in Mikronesien und Neuguinea mit einer Fläche von insgesamt drei Millionen Quadratkilometern – mehr als fünfmal die Fläche des Deutschen Reichs.
Bevor der Staat aus seinen Neuerwerbungen Nutzen ziehen konnte, musste er unter erheblichen Kosten Verwaltung, Polizei und Militär, Bildungs- und Gesundheitswesen aufbauen. Denn die Ausbeutung lokaler Ressourcen wurde dadurch behindert, dass es wegen mangelhafter Hygiene und hoher Sterblichkeit in der Bevölkerung an einheimischen Arbeitskräften mangelte. Durch den zunehmenden Güter- und Personenverkehr mit den Überseegebieten wuchs die Gefahr der Einschleppung exotischer Krankheitserreger. Eine medizinische Infrastruktur, die dieser Herausforderung gewachsen war, gab es weder in den Kolonien noch im deutschen Mutterland.
Besonders gravierend war der Mangel an Ärzten mit Kenntnissen über tropische und exotische Krankheiten und die völlige Unkenntnis über deren biologische und epidemiologische Grundlagen. An deutschen Universitäten gab es nicht eine Forschungs- oder Ausbildungsstätte für Tropenmedizin. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt (und eine Choleraepidemie von bislang unbekanntem Ausmaß in Hamburg), bis in der Freien und Hansestadt das erste tropenmedizinische Institut gegründet wurde.
Es fehlte an tropentauglicher Kleidung: Die ersten Tropenhelme waren eine Modifikation der preußischen Pickelhaube. Temperaturunempfindliche Foto-apparate, transportable Labors und andere für Expeditionen geeignete Ausrüstung mussten erst einmal entwickelt werden. Der Forscher, der sich in die neuen Kolonien aufmachte, musste seine gesamte Infrastruktur mitnehmen und sie in hinreichend kleine Einzelteile zerlegen, sodass einheimische Träger sie schleppen konnten.
Mit der ersten Expedition von Robert Koch nach Ägypten auf der Suche nach dem Erreger der Cholera beginnt die Beschreibung der wissenschaftlichen Himmelfahrtkommandos und damit der Hauptteil des Buches. Grüntzig und Mehlhorn berichten detailgetreu über die Entdeckung des Pestbazillus in Indien, die Identifizierung von Malariaerregern in Java, einen ersten Fall von Creuzfeldt-Jakob-Erkrankung bei den Papuas in Kaiser-Wilhelm-Land (heute Papua-Neu-guinea), die legendäre Erforschung der Schlafkrankheit durch Robert Koch in Ostafrika, die erste Beschreibung von humanpathogenen Fadenwürmern in der Südsee und diverse andere medizinische Heldentaten. So entsteht ein beeindruckendes Potpourri deutscher Wissenschaftsgeschichte.
Zu Recht gilt heute der Kolonialismus als eine dunkle Epoche der jüngeren Geschichte, unter deren Folgen viele Entwicklungsländer bis heute zu leiden haben. Gleichwohl war für die deutsche Infektionsmedizin die Zeit von 1870 bis 1910, in der alle wichtigen bakteriellen und parasitären Krankheitserreger identifiziert und beschrieben wurden, eine später niemals wieder erreichte Glanzzeit. Mit dem Fortschreiten biologischer und chemischer Kenntnisse sowie der Entdeckung neuer physikalischer Messmethoden und der Möglichkeit, die Krankheiten in ihrem Umfeld zu studieren, entwickelte sich aus einer rein beschreibenden eine analytische Wissenschaft.
Den Autoren gelingt es, dem Leser den Geist dieser heroischen Epoche detailgetreu zu vermitteln. Durch die Kombination aus Originalzitaten und zahlreichen faszinierenden Illustrationen ist ein Buch entstanden, das für Biologen, Mediziner und Historiker gleichermaßen lesenswert ist.
Das umreißt treffend das Thema des Buchs. Die Düsseldorfer Professoren Johannes W. Grüntzig und Heinz Mehlhorn – der eine Ophthalmologe, der andere Parasitologe – wollen die Ergebnisse bahnbrechender Forschungsarbeiten über exotische Krankheitserreger beschreiben und sie gleichzeitig in ihren historischen Kontext stellen. Dabei geht es weniger um die – häufig genug referierten – Fakten, sondern um die Menschen und die Ereignisse hinter ihren wissenschaftlichen Pioniertaten.
Bis zur Gründung des neuen Deutschen Reichs im Jahr 1871 konnten nur England und Frankreich auf umfang-reichen Kolonialbesitz zurückgreifen. Nachdem man sich in Berlin 1884 entschlossen hatte, dem "imperialistischen Klub" beizutreten, rückte das Reich mit deutscher Gründlichkeit sehr rasch in die vorderste Reihe der Kolonialmächte auf und verfügte innerhalb weniger Jahre über große Gebiete in Afrika, Asien und in der Südsee, die wirtschaftlich genutzt werden sollten. Auf seinem Höhepunkt im Jahr 1913 umfasste der deutsche Kolonialbesitz das heutige Kamerun, Togo, Tansania, Namibia sowie zahlreiche Territorien in Mikronesien und Neuguinea mit einer Fläche von insgesamt drei Millionen Quadratkilometern – mehr als fünfmal die Fläche des Deutschen Reichs.
Bevor der Staat aus seinen Neuerwerbungen Nutzen ziehen konnte, musste er unter erheblichen Kosten Verwaltung, Polizei und Militär, Bildungs- und Gesundheitswesen aufbauen. Denn die Ausbeutung lokaler Ressourcen wurde dadurch behindert, dass es wegen mangelhafter Hygiene und hoher Sterblichkeit in der Bevölkerung an einheimischen Arbeitskräften mangelte. Durch den zunehmenden Güter- und Personenverkehr mit den Überseegebieten wuchs die Gefahr der Einschleppung exotischer Krankheitserreger. Eine medizinische Infrastruktur, die dieser Herausforderung gewachsen war, gab es weder in den Kolonien noch im deutschen Mutterland.
Besonders gravierend war der Mangel an Ärzten mit Kenntnissen über tropische und exotische Krankheiten und die völlige Unkenntnis über deren biologische und epidemiologische Grundlagen. An deutschen Universitäten gab es nicht eine Forschungs- oder Ausbildungsstätte für Tropenmedizin. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt (und eine Choleraepidemie von bislang unbekanntem Ausmaß in Hamburg), bis in der Freien und Hansestadt das erste tropenmedizinische Institut gegründet wurde.
Es fehlte an tropentauglicher Kleidung: Die ersten Tropenhelme waren eine Modifikation der preußischen Pickelhaube. Temperaturunempfindliche Foto-apparate, transportable Labors und andere für Expeditionen geeignete Ausrüstung mussten erst einmal entwickelt werden. Der Forscher, der sich in die neuen Kolonien aufmachte, musste seine gesamte Infrastruktur mitnehmen und sie in hinreichend kleine Einzelteile zerlegen, sodass einheimische Träger sie schleppen konnten.
Mit der ersten Expedition von Robert Koch nach Ägypten auf der Suche nach dem Erreger der Cholera beginnt die Beschreibung der wissenschaftlichen Himmelfahrtkommandos und damit der Hauptteil des Buches. Grüntzig und Mehlhorn berichten detailgetreu über die Entdeckung des Pestbazillus in Indien, die Identifizierung von Malariaerregern in Java, einen ersten Fall von Creuzfeldt-Jakob-Erkrankung bei den Papuas in Kaiser-Wilhelm-Land (heute Papua-Neu-guinea), die legendäre Erforschung der Schlafkrankheit durch Robert Koch in Ostafrika, die erste Beschreibung von humanpathogenen Fadenwürmern in der Südsee und diverse andere medizinische Heldentaten. So entsteht ein beeindruckendes Potpourri deutscher Wissenschaftsgeschichte.
Zu Recht gilt heute der Kolonialismus als eine dunkle Epoche der jüngeren Geschichte, unter deren Folgen viele Entwicklungsländer bis heute zu leiden haben. Gleichwohl war für die deutsche Infektionsmedizin die Zeit von 1870 bis 1910, in der alle wichtigen bakteriellen und parasitären Krankheitserreger identifiziert und beschrieben wurden, eine später niemals wieder erreichte Glanzzeit. Mit dem Fortschreiten biologischer und chemischer Kenntnisse sowie der Entdeckung neuer physikalischer Messmethoden und der Möglichkeit, die Krankheiten in ihrem Umfeld zu studieren, entwickelte sich aus einer rein beschreibenden eine analytische Wissenschaft.
Den Autoren gelingt es, dem Leser den Geist dieser heroischen Epoche detailgetreu zu vermitteln. Durch die Kombination aus Originalzitaten und zahlreichen faszinierenden Illustrationen ist ein Buch entstanden, das für Biologen, Mediziner und Historiker gleichermaßen lesenswert ist.
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