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»Fast zu wild, um wahr zu sein«: Uralte Eichen und gefräßige Blutegel

Biodiversität entfaltet sich über die unterschiedlichsten Lebensgemeinschaften: ob bei uralten Eichen, gefräßigen Blutegeln oder Waschbären, die in Städten leben.
 Wildlebende Rothirsche tragen zum Erhalt offener Landschaften bei

Sich in einer Umgebung unsichtbar machen zu können, ist eine überlebenswichtige Fähigkeit für viele Pflanzen und Tiere. Das gilt natürlich auch für viele Lebewesen, die in diesem Buch thematisiert werden. Da gibt es Blumen, deren Blüten wie Insektenweibchen aussehen, damit ihre Pollen von den Männchen zur Bestäubung weitergetragen werden; oder Orchideen, die selbst keinen Nektar produzieren, deshalb immer neben anderen Blumen wachsen und dabei darauf »hoffen«, dass die Bienen das nicht bemerken. Auch aus der Tierwelt präsentieren Vanessa Braun und Norman Glatzer Erstaunliches. Murmeltiere etwa haben im Sommer einen doppelt so großen Magen wie im Winter. Der Bartgeier ist das Tier mit der stärksten Magensäure: Er kann damit sogar Knochen auflösen.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, in denen die einzelnen Unterkapitel jeweils spezifische Lebensräume behandeln. Den verschiedenen Arten von Mooren – Nieder-, Übergangs- und Hochmoor – ist beispielsweise je ein eigenes Kapitel gewidmet. Hier lernt der Leser nicht nur die Unterschiede in der Entstehung der Moore kennen, sondern erfährt auch, wie vielfältig hier Flora und Fauna jeweils sind. Wussten Sie zum Beispiel, dass allein in Deutschland an die 90 Orchideenarten wachsen? Oder dass die Eberesche, auch »Vogelbeere« genannt, Nahrungsquelle für 63 Vogel-, 72 Insekten- und 31 Säugetierarten ist?

Biodiversität auch in der Stadt

Auch die Stadtnatur bekommt ein eigenes Kapitel, und es überrascht, wie viele Arten, Pflanzen wie Tiere, in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem Menschen leben. Der Fuchs etwa hat sein Verhalten so an das Leben der Städter angepasst, dass im Buch von »Stadtfuchs« und »Landfuchs« die Rede ist, da diese sich in ihrem Verhalten grundlegend unterscheiden. So ist der Landfuchs scheu und ein Jäger mit großem Revier, während der Stadtfuchs zahmer und als ans urbane Umfeld angepasster Sammler unterwegs ist; er hat sogar gelernt, eine Straße sicher zu überqueren. Ähnlich adaptiert haben Waschbären das Leben in Städten – wie gut dies gelingt, belegt eine Anekdote aus Toronto. Hier hatte die Stadtverwaltung in »waschbärsichere« Mülltonnen investiert – nur um dann festzustellen, dass die Tiere sie schließlich doch zu knacken wussten.

Das Buch ist leicht zu lesen und in einem lockeren Ton geschrieben. Dies und das Einstreuen jugendsprachlicher Wendungen wie »YOLO« (als Abkürzung für »you only live once«) ist wohl auch der Tätigkeit der Autoren auf YouTube geschuldet, wo sie den Kanal »Buschfunkistan« betreiben. Junge Leser dürfte dieser Stil unmittelbar ansprechen, ein »älteres« Publikum wäre für die eine oder andere Erläuterung mehr sicher dankbar gewesen.

Mit ihrer bildhaften Sprache macht es das Autorenduo dem Leser leicht, den Ausführungen zu außergewöhnlichen Tieren, Pflanzen und Pilzen zu folgen. Sogar einen Blutegel kann man sich plötzlich als nettes Tierchen vorstellen, ohne sich zu ekeln. Auch die zahlreichen Vergleiche machen die Besonderheit einzelner Lebewesen erlebbar. Wer etwa wissen möchte, wie sich das Tragen des bis zu 15 Kilogramm schweren Geweihs für einen Rothirsch anfühlt, mag sich vorstellen, auf dem Kopf permanent einen vollen Kasten mit Mineralwasser zu balancieren. Wer sich die Dimension der bis zu 2 Meter hohen Bauten der kahlrückigen Waldameise, die selbst nur 8,5 Millimeter misst, vergegenwärtigen möchte, kann sich vor ein 400 Meter hohes Gebäude stellen und an ihm nach oben schauen – die Relation zwischen eigener Körpergröße und betrachtetem Bauwerk ist für beide Fälle vergleichbar.

Immer wieder erinnern die Autoren auch daran, was der Mensch mit seiner »Zähmung« der Natur alles zerstört. So wird durch die Begradigung von Flüssen ein weiterer Lebensraum, der im Buch thematisiert wird, vernichtet: der Auwald. Dieser ist nicht nur besonders artenreich, sondern kann dem Menschen auch als natürlicher Hochwasserschutz dienen. Und immer wieder wird deutlich, wie fein abgestimmt das Zusammenleben der verschiedenen Arten in der Natur ist. So gibt es um Eichen eine vielfältige Lebensgemeinschaft mit Flechten an der Rinde, Insekten in den Borkenrissen des Wurzelstocks oder auch um den hohlen Stamm. Dieser ist obendrein für den Baum selbst von Vorteil, da dieser dank der physikalischen Eigenschaften seines Stamms resistenter gegen Knickungen durch den Wind wird; dies ist einer der Gründe, warum eine Eiche 1000 Jahre alt werden kann und diese Bäume schon seit 10 000 Jahren auf der Erde wachsen.

Am Ende jedes Kapitels werden noch einmal die menschengemachten Veränderungen im jeweiligen Biotop benannt. Dies geschieht ganz ohne erhobenen Zeigefinger, führt dem Leser dennoch deutlich vor Augen, was auf dem Spiel steht, wenn wir die Biodiversität und die verschiedenen Biotope nicht bewahren – auch für unsere Spezies. Insgesamt ist Vanessa Braun und Norman Glatzer ein kurzweiliges Buch gelungen, in dem wohl jeder noch etwas Neues über die verschiedenen Lebensräume und ihre Bewohner lernen kann.

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