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Buchkritik zu »Faszination Bernstein«

Wer den stillen Reiz des Bernsteins kennt und vielleicht selbst schon Pflanzen und Tiere aus längst vergangener Zeit in ihm entdeckt hat, erliegt oft für immer seinem Zauber. Das vorliegende Buch gibt dieser Faszination angemessenen Ausdruck. Den Schwerpunkt bildet der baltische Bernstein mit Aufsätzen von polnischen Wissenschaftlern, die sich mit seiner Entstehung, seinen Varianten sowie den in ihm eingeschlossenen Pflanzen und Tieren befassen. Die Herausgeber, die Eheleute Günter und Brigitte Krumbiegel aus Halle/Saale, berichten einführend über das weltweite Vorkommen verschiedener Bernsteine und über die "Mutterbäume", die für die Bildung fossiler Harze in Frage kommen sollen, und geben ausführliche Hinweise auf Bernstein-Museen und -Ausstellungen in aller Welt. Das Buch schließt mit einem umfangreichen Literatur- und Stichwort-Verzeichnis. Etwa 300 verschiedene fossile Harze sind weltweit zu finden, die ältesten aus dem Devon im Erdaltertum, die meisten jedoch aus späteren Zeiten, vor allem dem Tertiär. Aus den übersichtlichen Weltkarten in der Einleitung geht deutlich hervor, dass der tertiäre baltische Bernstein nur einer unter sehr vielen ist, was allerdings seiner Bedeutung für die Paläobiologie keinen Abbruch tut. Die schönen, oft ganzseitigen Bilder von hervorragender Qualität lassen schon beim Durchblättern erkennen, dass interessierte Laien angesprochen sind. Seepocken sitzen auf einem Bernsteinstück und weisen damit auf dessen Aufenthalt im Meer hin; feinädrige Flügelmuster eines Schildlaus-Männchens oder schlüpfbereite, durch den Kokon schimmernde Ameisenpuppen zeichnen sich in allen Details durch das transparente Material hindurch ab. Nur der Laufkäfer auf Seite 67 verdankt sein metallisch blaues Aussehen aufnahmetechnischen Tricks, während die blauen Augen von Köcherfliegen (Seite 55) zwar etwas überzeichnet, aber im Prinzip echt sind. Welcher Baum hat ursprünglich das Harz produziert, das im Laufe der Zeit zu Bernstein fossilisierte? Auf die Frage nach dem "Mutterbaum" des baltischen Bernsteins gibt Barbara Kosmowka-Ceranowicz ein für Laien eher verwirrendes Resümee der Forschung. Anhand im baltischen Bernstein überlieferter Pflanzenreste wurden drei "Ökogemeinschaften" rekonstruiert: der Nadelwald der höheren Gebirgsregionen, der Kiefer-Palmen-Eichen-Steppenwald und ein feuchter Flussauenwald mit Wasserfichten. Andererseits aber führt die Autorin heute lebende Zedern und Araukarien als Harzlieferanten an, nicht etwa, weil sie zum baltischen Bernstein beigetragen hätten, sondern weil die Infrarot-Absorptionsspektren ihrer Harze mit denen baltischer Bernsteine teils übereinstimmen. In den letzten Jahren wurde die Spektrographie als Mittel zur Identifizierung des Bernsteins allerdings erheblich in Frage gestellt. Am Ende bleibt die Suche nach dem Mutterbaum des baltischen Bernsteins ungeklärt; vielleicht hatte Hugo Wilhelm Conwentz (1855-1922), Botaniker und Gründer der deutschen Naturschutzbewegung, ja Recht, als er 1890 die Bernsteinkiefer Pinus succinifera vorschlug. Die vielen Varianten des baltischen Bernsteins kommen durch unterschiedliche Entstehung des Harzes am Baum, aber mehr noch durch die Umstände der Fossilisation und der Ablagerung zu Stande. Man kann Bernsteine nach unterschiedlicher Durchsichtigkeit und äußerer Verwitterung, nach Form und Färbung differenzieren und auf viele Weisen einteilen; ob das immer hilfreich und sinnvoll ist, sei dahingestellt. Der weitere Text über Pflanzen und Tiere des baltischen Bernsteins ist informativ, verständlich und mit übersichtlichen Tabellen versehen. Je nachdem, wie die Pflanzen und Tiere ins Harz geraten sind, unterscheidet man Klebe-, Fließ-, Tropfen- und Poolfallen. Mit der Häufigkeitsverteilung der Inklusen und der geografischen Verbreitung der baltischen Bernsteinfauna sind weitere wichtige Themen angeschnitten. Es fehlt auch nicht an Hinweisen auf "Grabgemeinschaften" (Taphozönosen). Sie helfen die Beziehungen verschiedener Arten untereinander zu klären und nachzuprüfen, welche Tierarten sich im baltischen Bernsteinwald dieselbe Umwelt teilten. Zutreffend vermerken Verlag und Autoren auf der letzten Seite des Einbandes: "Es ist die Schönheit, die in diesem Buch im Vordergrund steht, eine Schönheit, die sich auf dem Hintergrund wissenswerter Fakten und verborgener Besonderheiten immer reicher entfaltet."
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 11/2001

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