Wenn ein Krake Fahrrad fährt
Kraken erlangen selten Weltruhm, und wenn, dann sind es meist bedrohliche Szenarien. So wie der Riesenkrake im Film »Fluch der Karibik«, der nicht nur Schiffe, sondern auch den Piratenkapitän Jack Sparrow, gespielt von Jonny Depp, verschlingt. Ganz anders als Krake Paul, der ein sehr positives Medienecho auslöste, als er 2010 die Ergebnisse der Fußball-Weltmeisterschaft voraussagte, sogar meist richtig. Doch auch wenn dies purer Zufall war, haben Kraken erstaunliche Fähigkeiten.
Der Autor Michael Stavarič dringt tief in die Welt der Wesen mit den acht Tentakeln ein. Und zusammen mit der Illustratorin Michèle Ganser macht er daraus einen schönen Genuss. Das Sachbuch ist für Kinder verfasst, die er ab und an direkt anspricht und auffordert, sich eigene Geschichten auszudenken. Stavarič ist ein echter Erzählkünstler, der nicht nur amüsant schreibt, sondern auch mal Schlenker unternimmt und darüber nachdenkt, was Ozean und Weltall gemeinsam haben oder wie Menschen und Kraken wohl entstanden sind.
Gezielte Kurzschlüsse
Doch es geht ja um Kraken, wie der Autor sich an diesen Stellen zur Ordnung ruft. Er schildert, welche erstaunlichen Eigenschaften sie haben. Sie öffnen nicht nur Schraubgläser mit Leckerbissen, schießen kräftige Wasserstrahlen auf Plastikdosen oder Steine gegen die Scheiben eines Aquariums. Einige richten den Wasserstrahl sogar gezielt auf Lampen und lösen regelmäßig Kurzschlüsse aus. Vielleicht, denkt sich Stavarič, machen sie das, weil diese Meeresbewohner grelles Licht eher nicht mögen. Dieser Beschuss triff auch schon mal gezielt unerwünschte eigene Artgenossen, wie ein Forscherteam gerade herausgefunden hat. Ein ungewöhnliches Verhalten, das sonst nur von Schimpansen und Affen bekannt ist. Bei diesen Meereswesen ist zudem der ganze Körper Gehirn, selbst die Tentakel. Jeder Saugnapf kann ohne Rückmeldung entscheiden, was er tut.
Ihre Eigentümlichkeit zeigt sich in den Varianten ihrer Bezeichnung. So werden sie nach ihrem Aussehen als entwurzelte Bäume, Aliens oder Kopffüßer beschrieben, die sich wie nasse Badeschwämme anfühlen.
Stavarič erzählt nicht nur meisterhaft Geschichten, er spricht auch mit den Leserinnen und Lesern. Er fragt nach ihrer Meinung und fordert sie auf, selbst nachzudenken, zu träumen: Was würde man tun, wenn man acht Arme hätte? Nun, beim Fahrradfahren kann zumindest ein Krake zwei Arme auf den Lenker legen, zwei auf die Pedale, und da bleiben immer noch vier zur freien Verfügung. Fast könnte man meinen, Stavarič' Stimme aus dem Buch heraus zu vernehmen.
Der Autor schreibt zwar für Kinder, doch auch manche Erwachsene schnappen sicherlich noch etwas Wissen auf, wenn er komplexe Sachverhalte wie Bionik, Galaxien oder die Evolution so wunderbar einfach erklärt. Kinder dürfen sogar Stifte in die Hand nehmen und die ansprechenden, schwarz-weiß gezeichneten Unterwasserwelten bunt bemalen.
Schöner kann ein Buch in der digitalen Zeit gar nicht gestaltet werden. Die hochwertige Aufmachung mit Golddruck, dem Druck auf glänzendem Papier und den liebevollen Zeichnungen vom Lebensraum der Kraken zeigt, dass Kinder wichtig sind und ein hochwertig gestaltetes Buch verdienen.
Wie Stavarič berichtet, haben Kraken drei Herzen. Wenn man liest, wie liebevoll er diese Wesen beschreibt, scheint es fast so, als habe der Autor ebenfalls drei. Eins schlägt für seinen Kreislauf, eines für Kinder und das dritte für die ältesten intelligenten Lebewesen unseres Planeten.
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