Keime, tödlicher als Germanen?
Woran ging das Römische Reich zu Grunde? Eine Frage, über die Geschichtswissenschaftler seit Jahrhunderten rätseln. Der amerikanische Althistoriker Kyle Harper hat den vielen Arbeiten darüber nun eine weitere hinzugefügt. In diesem Buch erklärt er Aufstieg und Untergang des römischen Imperiums aus umweltgeschichtlicher Perspektive. Nicht Heerscharen von Barbaren, so Harpers These, sondern einschneidende Klimaveränderungen, verbunden mit schweren Epidemien, seien dem Reich zum Verhängnis geworden. Der Autor macht seine Vermutung an drei großen Krankheitsausbrüchen in der römischen Geschichte fest, deren Folgen er mehr oder weniger überzeugend diskutiert: der Antoninischen (um 160), der Cyprianischen (um 240) und der Iustinianischen Pest (ab 541).
Das glücklichste Zeitalter der Menschheitsgeschichte
Der Aufstieg Roms zwischen 200 v. Chr. und 250 n. Chr., so Harper, sei auf die damals günstigen klimatischen Bedingungen zurückzuführen. Das mediterrane Klima dieser Zeit sei niederschlagsreich, warm und vor allem stabil gewesen. Harper spricht von einem »römischen Klimaoptimum«, das die Grundlage für einen kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs bei gleichzeitigem Wirtschaftsaufschwung geboten habe. Die bereits von Edward Gibbon (1737-1794) als das »glücklichste Zeitalter der Menschheitsgeschichte« bezeichnete Epoche sei durch zwei verheerende Epidemien, die Antoninische und die Cyprianische Pest, erschüttert worden, die das »Pessimum der Völkerwanderungszeit« einleiteten.
Harpers Buch enthält Stärken und Schwächen. Überzeugen kann er mit der makrohistorischen Einordnung seiner Klima- und Epidemienthese. Etwa wenn er die Anfälligkeit globaler zivilisatorischer Systeme gegenüber Seuchen aufzeigt, die infolge mangelnder Hygiene in den dicht bewohnten Städten des Imperiums einen idealen Nährboden fanden. Die Römer hatten ein vernetztes urbanisiertes Imperium errichtet, das sich bis an die Randzonen der Tropen zog. Vor allem die weit reichenden Verbindungen nach Zentralasien, Ostafrika und zum Indischen Ozean hätten, so Harper, dem Pesterreger Yersinia pestis den Weg ins Innere des Reichs geebnet. Dessen globales Auftreten haben Paläoanthropologen erst in jüngster Zeit anhand von Skelettanalysen in spätantiken Gräberfeldern bei München und im englischen Edix Hill nachgewiesen.
Weniger stichhaltig ist Harpers These für die Zeit zwischen dem Ende des Optimums um 150 und der Katastrophe unter Justinian um 540. Die um die Mitte des 3. Jahrhunderts einsetzende Reichskrise ging mit externen Barbareneinfällen und internen Thron- sowie Religionsstreitigkeiten einher und lässt sich klimatischen Faktoren nicht plausibel erklären. Zudem vermutet der Autor für diese Periode, in der keine Wetteranomalien oder größere epidemische Katastrophen nachweisbar sind, Folgendes: Es habe eine Klimaverschlechterung in der eurasischen Steppe gegeben mit Trockenheit und Dürren; und sie sei die Ursache des Hunneneinfalls (375) gewesen – die Hunnen wären dann so etwas wie bewaffnete Klimaflüchtlinge zu Pferde gewesen, die eine Migrantenlawine in Gang setzten, aus der wiederum der Niedergang des Reichs gefolgt sei.
Spekulativ bleibt Harpers Schätzung, dass die Mortalitätsrate der Antoninischen Pest reichsweit bei 22 bis 24 Prozent gelegen habe, die der Justinianischen Pest bei 50 Prozent. Die durchweg spärliche Quellenlage lässt derart genaue Angaben nicht zu. Ohnehin ist es schwierig, die Einflüsse exogener Faktoren (etwa Klimaanomalien) und menschengemachter Phänomene auseinanderzuhalten beziehungsweise sauber zu ermitteln, wie sie zusammenwirkten. Sicherlich sind die von Harper beschriebenen epidemischen und klimatologischen Phänomene nicht zu unterschätzende Einflussgrößen gewesen, und gewiss haben sie zur Verschärfung von Krisen beigetragen. Sie jedoch als hauptursächlich für den Untergang des Reichs zu reklamieren, ist zu monokausal gedacht.
Trotz dieser Schwächen bietet »Fatum« eine über weite Strecken eindrucksvolle Klima- und Seuchengeschichte des Römischen Reichs, die einem breiten Publikum die Forschungserkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte zugänglich macht.
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