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Unter der Gürtellinie

Wer "untenrum" völlig gesund ist und nicht gerade Medizin studiert, dem wird es eher nicht danach gelüsten, ein Buch über Urologie zu lesen. Und wer auf einer Party erzählt, dass er eine urologische Praxis betreibt, dürfte kaum zum Frauenschwarm avancieren. Der Urologe Volker Wittkamp jedenfalls ist davon überzeugt, dass allenfalls die Kollegen von der Proktologie – der Lehre von den Erkrankungen des Mastdarms – es noch schwerer haben, nach erfolgter Berufsauskunft einen vielversprechenden Smalltalk zu führen. Urologen, so Wittkamps nüchterne Feststellung, haben nun einmal ein gesteigertes Interesse an allem, was irgendwie mit Urin in Kontakt kommt. Und das sind in der Regel sehr intime Regionen, die häufig mit Ekel assoziiert werden. Darüber ebenso informativ wie unterhaltsam zu schreiben, ist alles andere als einfach. Wittkamp ist es gelungen.

Der Autor, Jahrgang 1983, arbeitet seit fünf Jahren als Assistenzarzt an einem Krankenhaus in Bergisch Gladbach und steht kurz vor dem Abschluss seiner Facharztprüfung. Dass er sich als Indie-DJ sowie als Kolumnist "Doc Intro" bei der gleichnamigen Musikzeitschrift bereits einen Namen gemacht hat, merkt man diesem wunderbar locker geschriebenen Buch an. "Indie" steht für "Independent". Ein Indie-DJ legt also bevorzugt Musik auf, die nicht vom zeitgenössischen Geschmack abhängt und gern neue, eigenwillige künstlerische Wege geht. Das ist gewiss keine schlechte Vorschule, um über den urologischen Alltag mit etwas mehr Schwung als üblich zu berichten.

Rund um die Körpermitte

Das Buch beinhaltet sechs Themenschwerpunkte: Penis, Hoden, Sperma und Hormone, Blase, Niere sowie Prostata. Nur zwei Kapitel – jene über Blase und Niere – betreffen beide Geschlechter gleichermaßen. Die Darstellung könnte also mit einigem Recht den Titel tragen "Was Männer wissen müssen." Doch schnell wird deutlich: Bei dieser Lektüre geht es auch darum, was Frauen unbedingt über Männer wissen sollten.

Wittkamp, vom Temperament her offenbar eine rheinische Frohnatur, gelingt es offenherzig und taktvoll zugleich, über gemeinhin als peinlich bis anstößig empfundene Themen zu plaudern: Belastungsinkontinenz, Hodentrauma, Masturbation oder Tripper. Wenn er jedoch auf Blasentumoren, Hodenkrebs oder Niereninsuffizienz zu sprechen kommt, ist selbstverständlich Schluss mit lustig. Dann fehlt es Wittkamp nie an der gebotenen Empathie für die Patienten. Wo immer möglich, rückt er das Positive in den Vordergrund: Den Risiken sowie dem entsetzlichen Leid stellt er die guten Chancen zur Prophylaxe gegenüber sowie die sich permanent verbessernden Therapiemöglichkeiten. So erinnert er auf dem "Merkzettel", der den Themenschwerpunkt "Hoden" beschließt, daran, dass Hodentumoren mittlerweile in 95 Prozent der Fälle komplett heilbar sind.

Eine Frage des Stehvermögens

Eingeleitet wird jedes Kapitel durch einen recht vergnüglich zusammengestellten Fragebogen. Als Leser muss man da häufig schmunzeln. Unter der Rubrik "Familienstand" beispielsweise findet sich beim Penis der Eintrag "allein-stehend". Beim Sperma kommt unter "Beste Freunde" die Schwimmlegende Michael Phelps zu postolympischen Ehren. Und bei der Prostata heißt es unter "Beruf": "Vorsteherdrüse – das ist wie Türsteher, nur entscheide ich, was raus darf". Etwas deftiger dann das Motto des Hodens: "10 Zentimeter weiter und ich wär’ im Arsch". Gewiss, dieser Humor wird nicht jedem gefallen. Doch er eignet sich durchaus dafür, etwaige Berührungsängste abzubauen. Dies sogar im wörtlichen Sinne.

In den Zentralteilen der Kapitel verdeutlicht Wittkamp die wichtigsten funktionellen Abläufe und Störungen jener Organe, die für die urologische Praxis relevant sind. Interessierte Laien finden hier gewissenhaft aufbereitete Sachinformationen nebst zugehörigen Abbildungen. Medizinischen Fachjargon spart der Autor weitgehend aus oder übersetzt ihn allgemeinverständlich. Zudem gibt er gute Ratschläge, wie man "fit im Schritt" bleibt. Mit Nachdruck betont er beispielsweise, dass Rauchen nicht nur das Risiko für Lungentumoren erhöht, sondern auch für Blasenkrebs.

Der Autor warnt vor medizinischen Online-Beratern à la "Dr. Google". Nichts kann eine leibhaftige ärztliche Untersuchung ersetzen. "Keine Diagnose durch die Hose" lautet die goldene Regel der Urologen. Und was nicht ersichtlich ist, muss ertastet werden. Hier plaudert Wittkamp aus dem Nähkästchen: Bei der so genannten Hafenrundfahrt (der rektalen Untersuchung mit dem Finger) fühle sich eine gesunde Prostata ähnlich prall und elastisch an wie ein Medium-Steak.

Ungebetene Besucher

Der Autor vermag anschaulich zu erklären und hat immer eine besonders interessante oder skurrile Patientengeschichte parat. Etwa die vom Harnröhrenwels: Diese kleinen Tropenfische (Vandelliinae) verbeißen sich normalerweise in den Kiemen größerer Fische, um von deren Blut zu leben. Angelockt werden sie vom Harnstoff, den die Wirtsfische durch ihre Kiemen ausscheiden. Manchmal verirrt sich so ein Parasit deshalb in die Harnröhre eines badenden Menschen, dringt in die Blase ein und verendet dort – mit oft fatalen Folgen für den Betroffenen. Ja, Langeweile kommt bei Urologen offenbar nie auf.

Das Werk gibt einen überzeugenden Einblick in einen besonders heiklen und vielseitigen Bereich sowohl des menschlichen Körpers als auch der Medizin. Darüber hinaus hilft es, die Scham vor einem Besuch beim Urologen zu überwinden. Man kann es mit Fug und Recht als Pflichtlektüre für Männer und Frauen empfehlen, und zwar möglichst schon für solche im Jugendalter.

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