»Food Feelings«: Kein Frustessen mehr
Vor dem Gespräch mit ihrer Patientin Lisa hat Cornelia Fiechtl sie damit beauftragt, ihre Lieblingskekse zu besorgen und für die Videokonferenz bereitzulegen. Doch als die Therapiestunde beginnt, hat Lisa die Packung bereits aufgerissen und alle Kekse waren binnen weniger Minuten in ihrem »Mund verschwunden«. Traurig blickt sie ihrer Therapeutin nun entgegen, weil sie der Essattacke nachgegeben hat.
Viele Beispiele aus der eigenen Praxis
Fiechtl ist klinische Psychologin und begleitet emotionale Esser wie Lisa auf dem Weg zu einem gesunden Essverhalten. Jetzt hat sie ein Buch mit vielen Beispielen aus ihrer therapeutischen Praxis geschrieben. In »Food Feelings« schildert Fiechtl, dass Essattacken ganz unterschiedliche Ursachen haben können und den Betroffenen oft das Gefühl geben, sie hätten versagt. Sie schildert in drei Abschnitten, wie Emotionen unser Essverhalten bestimmen, erklärt den Unterschied zwischen Heißhunger und Essdrang und gibt Tipps, was man dagegen tun kann.
Es klinge ganz simpel, so Fiechtl, dass man, um abzunehmen, einfach nur weniger essen müsse, als man verbrauche. Wer das nicht schafft und »ungezügelt« eine Tafel Schokolade verschlingt, sucht der Autorin zufolge die Schuld oft bei sich. Und isst aus Frust vielleicht gleich noch eine. So quälen sich viele Menschen lebenslang mit Zyklen aus Essphasen und Zügelung. Diese seien oft auch Folge von Diäten, die zu Essanfällen, gestörtem Essverhalten und Selbstzweifeln führen. Fiechtl, die in einer Klinik für Essstörungen gearbeitet hat, erklärt das anhand von Beispielen und stellt wissenschaftliche Studien verständlich vor.
Manchmal sind Essattacken eine natürliche Reaktion des Körpers. Wer an einem Tag viel gearbeitet und keine Pausen gemacht hat, reißt abends vielleicht den Kühlschrank auf, um den Heißhunger zu stillen. So eine Reaktion ist kein Grund, sich schlecht zu fühlen. Man solle nur regelmäßiger essen, empfiehlt die Autorin.
Schwieriger zu bekämpfen sind Essattacken, wenn Emotionen der Auslöser sind. Bei negativen Gefühlen greifen viele Menschen zu einem Snack. Doch Menschen essen auch, wenn sie Freude empfinden. Fiechtl berichtet von einer Studie, in der Wissenschaftler das Essverhalten von Probanden beobachteten, während diese verschiedene Filmszenen sahen. Dabei zeigte sich, dass die Teilnehmer bei der Liebeskomödie »Harry und Sally« eher zu Schokolade griffen als beim Thriller »Schweigen der Lämmer«. Fiechtl erklärt gut nachvollziehbar, was im Körper passiert und wie Stress Hunger auslöst – manchmal erst Stunden später und scheinbar aus heiterem Himmel. Oder bereits vor einem emotional belegten Ereignis, wie das eingangs beschriebene Beispiel mit Lisa zeigt.
Fiechtl will Menschen helfen, die eigene Psyche besser kennen zu lernen, um die Kontrolle über das Essverhalten zurückzuerlangen. Detaillierte und hilfreiche Tipps am Ende des Buchs verdeutlichen die Vorgehensweise. Diätgedanken solle man sich selbst verbieten. Fiechtl schreibt, Diätpläne würden das Essen »verkopfen«. Einiges an Kopfarbeit ist jedoch notwendig, um die Vorschläge der Autorin umzusetzen: Man solle achtsam essen, Sättigung wahrnehmen und die eigenen Essauslöser identifizieren. Mit der Zeit werde es Routine, erklärt sie.
Allerdings klingen auch einige Textpassagen in »Food Feelings« wie die Heilsversprechen eines Diätplans, etwa wenn Fiechtl schreibt, dass sich mit ihrem Programm Probleme häufig wie »von Zauberhand« lösen, oder wenn sie erklärt, der Leser werde »erstaunliche Erkenntnisse über sich selbst« sammeln. Doch wenn das Buch hilft, auf unsinnige Diäten zu verzichten, hat Fiechtl viel erreicht. Und die Botschaft, dass nicht jeder, der schon einmal binnen kurzer Zeit eine Chipstüte geleert hat, an einer Essstörung leidet, ist ebenfalls wichtig. Hin und wieder, so die Autorin, sei das in Ordnung. Es gebe schönere Dinge, als sich mit der »richtigen« Ernährung und dem Kalorienzählen zu beschäftigen.
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