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»Frisch im Kopf«: Suchtfaktor Smartphone: Was Daddeln mit dem Gehirn macht

Martin Korte klärt über die Effekte digitaler Dauerbeschallung auf. Sein Buch ist aber nicht so stark auf das Thema konzentriert, wie man sich das wünschen würde.
Drei Studierende sitzen auf Stühlen und beschäftigen sich mit Handy, Tablet oder Computer

Dauerstress durch digitale Medien verändert das Gehirn. Was man dagegen tun kann, erklärt Martin Korte in diesem Buch. Dabei schweift er mitunter vom Thema ab. Und nicht alle Einsichten, die er präsentiert, sind wirklich neu.

Süße Katzenvideos, ständig blinkende Familienchats, sinnlose Blogs aus aller Welt: Wie oft öffnen Sie einen Messenger, checken den Posteingang, stellen Sie Suchmaschinen Fragen oder wischen sich durch Social-Media-Kanäle? Wer glaubt, das koste allein nur Zeit, irrt, so Martin Korte, Professor für Neurobiologe an der TU Braunschweig. Wenn digitale Medien wie »Meteoritengeschwader« auf einen einprasseln, baut die digitale Dauerbeschallung das Gehirn um, vermindert unsere Kreativität und verändert kognitive Fähigkeiten.

Gleich zu Beginn räumt Korte wissenschaftlich fundiert mit dem Mythos auf, sinnvolles Multitasking sei möglich. Es sei vielmehr so, dass das ständige Switchen oder das gleichzeitige Konsumieren von verschiedenen digitalen Medien unsere Konzentrationsfähigkeit verringere. Wir brauchen fast noch einmal die Hälfte der üblichen Zeit zusätzlich, um Aufgaben abzuschließen, und wir machen mehr Fehler.

Das ist jetzt zwar nichts grundlegend Neues, aber vielleicht kann man es nicht oft genug wiederholen. Denn gerade Jugendliche und junge Erwachsene nutzen digitale Medien intensiv. Laut einer Studie schauen sie im Schnitt alle 14 Minuten auf ihr Display und verbringen bis zu zweieinhalb Stunden am Tag am Handy. Eine verminderte Lernfähigkeit und ein geringeres Sprachverständnis sind die Folgen, weil das ständige »Daddeln« die Gehirnentwicklung junger Menschen beeinträchtigt.

Doch Korte will die Nutzung digitaler Endgeräte nicht generell verteufeln. Er plädiert für einen überlegten Umgang mit ihnen, so zum Beispiel beim sinnvollen Einsatz im »digitalen Klassenzimmer«, dem er ein eigenes Kapitel widmet. Bücher seien zum vertieften Lernen aber immer noch besser geeignet als Bildschirme, und ein persönliches Feedback wirke nachhaltiger als Likes auf Instagram. Und ausführlich legt Korte dar, dass Social-Media-Apps süchtig machen.

Nicht immer hart am Thema

Leider schreibt der Autor zu oft am Thema seines Buchs vorbei. So erklärt er ausführlich, was künstliche Intelligenz in Zukunft einmal vermöge, wenn sie Alzheimer, Parkinson oder Schlaganfälle frühzeitig erkenne, die Automatisierung in der Automobilbranche vorantreibe oder Lieferketten optimiere. Oder er spekuliert, dass die zunehmende Digitalisierung zu einer riesigen »Welle der Arbeitslosigkeit« führen könne. Dazwischen platziert er ein paar mehr oder minder lustige Geschichten. Unter anderem berichtet er davon, wie einst die KI eines Tesla einen Lkw als Wolke interpretierte und mit 119 Stundenkilometern in ihn hineinbretterte. Oder er schildert, wie die Gesichtserkennung während eines Champions-League-Finals fälschlicherweise massenhaft »Kriminelle« identifizierte. All das dürfte Leser, die etwas darüber erfahren wollen, wie sie sich aus der digitalen Reizüberflutung – wie im Buchtitel angegeben – befreien können, eher weniger interessieren. Ebenso wurde die Frage, warum KI-Programme oft noch sexistisch sind, schon vielfach und häufig auch besser beantwortet. Übermäßig viel Raum nimmt bei Korte auch das Thema Neuroenhancement ein oder auch die Frage, wie Menschen und Computer zu Cyborgs verschmelzen können.

Auch mit Blick auf das Anspruchsniveau fehlt eine klare Linie. Während die ersten Kapitel leicht zu verstehen sind, steigt der Autor bei der Darstellung von neuronalen Netzen, Deep Learning und dem Brain-Computer-Interface ziemlich abrupt tief in die Hirnforschung ein. Einige Leser wird er hier abhängen, wenn er beispielsweise schreibt: »Die Output-Signale zur Objekterkennung gehen dann weiter an Areal V4, das im Schläfenlappen liegt. Bewegungen werden auf einer anderen Sehbahn durch V3 und weitere Areale im Schläfenlappen parallel weiterverarbeitet.«

Über Schnittstellen im menschlichen Gehirn

Gleichzeitig mangelt es dem Buch bei Verweisen auf Forschungsergebnisse mitunter an Genauigkeit. So soll die Anlage von Schnittstellen im menschlichen Gehirn eines Tages beim Kampf gegen Zwangsstörungen, Depression und Sucht helfen. Um diese Möglichkeit zu erforschen, werden auch Versuche an Tieren unternommen. Dazu berichtet Korte, ohne präzise Quellenangabe, von invasiven Experimenten an Makaken, denen Mikroelektroden ins Gehirn eingepflanzt wurden. Das Ergebnis der Versuche, so der Autor: Forscher konnten dank künstlicher Intelligenz die Reaktionen der Affen auf Gesichter, die ihnen gezeigt wurden, mit einer »geradezu unheimlichen Genauigkeit« vorhersagen. Auf der Internetseite des »Science Media Center«, auf die Korte im folgenden Kapitel verweist, heißt es allerdings zu diesen Versuchen: »Die Ergebnisse sind wegen unterschiedlicher Organisation der Gehirne nicht direkt übertragbar, außerdem gibt es verstärkt ethische Diskussionen über das Tierwohl.«

Und zum Schluss gibt es dann noch die üblichen, meist allseits bekannten Ratgebertipps: Handy ausschalten und weit weglegen, E-Mail-Programme und Messenger nur dreimal am Tag öffnen, Schreibtisch aufräumen, Aufgaben angemessen bearbeiten und dabei Strukturen schaffen, To-do-Listen konsequent abarbeiten, Freiräume finden und Sport treiben. Nun, vielleicht kann man diese Tipps zum »Suchtfaktor Smartphone« tatsächlich nicht oft genug wiederholen. Dennoch: Eine stärkere Konzentration auf das Titelthema und auf die Frage, was es hierzu an neuen oder originellen Ansätzen gibt, hätte dem Buch gutgetan.

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