Reineke in Stadt und Land
Adele Brand ist Ökologin und hat sich auf die Erforschung von Füchsen spezialisiert. Schon als Kind beobachtete sie diese tagelang, studierte sie später auf vier Kontinenten und leitete schließlich zahlreiche internationale Forschungsprojekte über die Tiere. Jetzt hat sie ein Buch dazu geschrieben (Originaltitel »The Hidden World of the Fox«). Darin widmet sie sich erzählerisch gelungen und wissenschaftlich fundiert den Raubtieren aus der Familie der Hunde. Narrative Einschübe verwebt sie geschickt mit wissenschaftlichen Fakten, wobei sie im Überlappungsgebiet von Natur und Zivilisation ansetzt: Gärten, Hinterhöfe, Stadtparks und Abfalleimer – das sind die Refugien städtischer Wildtiere und auch die Orte, an denen wir besonders häufig auf Füchse treffen.
Fellfärbung von braun bis weiß
Brand befasst sich zuvorderst mit dem Rotfuchs Vulpes vulpes. Sie vermittelt allerlei biologisches Grundwissen über ihn. So informiert sie über die Anatomie, das Paarungsverhalten, die Aufzucht der Jungen und das Revierverhalten der Tiere. Nebenbei klärt sie über Legenden auf, die sich noch immer hartnäckig halten. Etwa die, dass Füchse nachtaktiv seien. Dabei ist die Nachtaktivität der Raubtiere kein biologisches Grundgesetz, sondern resultiert lediglich daher, dass zu später Stunde oft die Nahrungsaufnahme ungestört möglich ist. Auch sei es ein Irrglaube, dass Füchse ausschließlich in Orangetönen gefärbt seien. So existieren durchaus Exemplare mit braunen Farbeinschlägen sowie schneeweiße. Je nach Pigmentierung kann das Fell heller oder dunkler sein, und Tiere mit Leuzismus haben wegen eines Gendefekts praktisch keine Melanozyten (farbstoffbildenden Zellen) in der Haut und daher ein beinahe vollständig weißes Fell.
Die Autorin beschreibt den Prozess, den Füchse von Wildtieren hin zu unseren städtischen Nachbarn durchlaufen; sie schildert, wie sie es in unsere Popkultur geschafft haben; und sie lässt uns an einigen kuriosen Forschungsergebnissen teilhaben. So erfahren die Leser, dass die Raubtiere ihre Umgebung am liebsten in Zickzackmustern durchstreifen, zwischendurch in der Stadt auch durchaus mal Straßenbahn fahren, ein ausgewachsenes Exemplar oft nur an die sechs Kilogramm wiegt und ihm bereits eine Ratte – wahlweise ein halber Burger – als komplette Tagesmahlzeit genügt. Nordamerikanische Füchse sind bis zu zehn Zentimeter kürzer als englische und bis zu zwei Kilogramm leichter.
Diese Fakten ergänzt Brand mit der Schilderung persönlicher Erlebnisse, die sie mit den Tieren hatte. So gibt es Füchse in ihrer Nachbarschaft, die sie über Jahre hinweg beobachtete und die zu einem ständigen Begleiter wurden. Außerdem versucht sie zu beantworten, wie es der Rotfuchs schaffte, sich derart erfolgreich an unsere moderne Welt und Lebensweise anzupassen – und sie fragt, ob wir bereit sind, ihn in unserer Nähe zu tolerieren. Dabei arbeitet sie den spannenden Aspekt heraus, dass wir Menschen Vulpes vulpes prägen: Wir verändern Ernährungsweise, Reviergröße, Sozialbeziehungen, Lebensdauer und Todesursachen der Tiere. So zeigt sich im Vergleich von Stadtfüchsen aus den Stadtvierteln Londons mit wilden Exemplaren aus den Urwäldern des Białowieża-Nationalparks in Polen, dass Letztere selbstsicherer, schlanker und körperlich geschickter sind. Die Raubtiere sind eben nur beinahe Hunde – und Burger keine artgerechte Ernährung für sie. Brand gelingt es ferner, die Mensch-Fuchs-Beziehung auf einer Metaebene zu beleuchten. So beschäftigt sie sich mit Zuschreibungen und Eigenschaften, die wir in den Fuchs hineinlesen, und arbeitet dabei fein heraus, wie wir mit wilden Tieren innerhalb unseres zivilisierten Lebens umgehen und was das über unsere Haltung zur Natur aussagt.
Das Buch lässt sich allen empfehlen, die sowohl an den biologischen und zoologischen Aspekten des Rotfuchses interessiert sind als auch an philosophischen und ökologischen Zusammenhängen der Mensch-Tier-Beziehung. Ohne übermäßig komplex zu werden, führt es in die vielfältige Lebenswelt der Füchse ein. Die persönlich gefärbten Erzählungen der Autorin bieten einen anregenden Blickwinkel auf ein Tier, das uns in seiner Wildheit und in seiner Anpassungsfähigkeit an menschlich geprägte Umgebungen fasziniert.
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