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»Für die Freiheit«: Ein Scheitern, das die Welt veränderte

Auch wenn er scheiterte: Der Bauernaufstand im 16. Jahrhundert gehört zu den prägenden Ereignissen deutscher und europäischer Geschichte. Das belegt Lyndal Roper.

Alles begann mit Schnecken, darüber sind sich die Zeitgenossen einig. Zur Erntezeit 1524 befahl die Landgräfin von Lupfen ihren Leibeigenen, Schneckenhäuser zu sammeln, damit die Hofdamen ihr Garn darauf wickeln konnten. Allein der Irrsinn dieser Forderung spricht Bände über die Gleichgültigkeit der Grundherren gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung zu Beginn des 16. Jahrhunderts.

Missstände dieser Art häuften sich, und der daraus entstandene Unmut brachte das Fass schließlich zum Überlaufen. Wie ein Strohfeuer verbreitete sich der unter den Bauern ohnehin schon lodernde Revolutionsgedanke, bald brannte es an vielen Orten. Bauern hörten auf zu arbeiten, begannen Rechtsstreitigkeiten mit den Grundherren, bildeten so genannte Haufen und schufen sich Fahnen. So schildert Lyndal Roper den Beginn des Bauernkriegs gegen Ende des Jahres 1524 mitten in Europa.

In der Schwarzwaldregion und in der Schweiz hatten sich im Februar 1525 bereits 8000 Bauern versammelt, die sich Anfang März zu einem Bund zusammenschlossen. Die Gewaltbereitschaft nahm zu. Klöster und Abteien wurden von Bauern überfallen, der Aufstand schwappte in die Städte. Die Gewalt gipfelte im April 1525 in der so genannten Weinsberger Bluttat, dem Angriff auf die Burg und Stadt Weinsberg. Er sollte den Kriegsverlauf massiv beeinflussen.

Über den Bauernkrieg zu schreiben fühle sich an, als entwirrte man einen endlosen Strang von Einzelgeschichten, von denen jede danach schreie, erzählt zu werden, berichtet Lyndal Roper. In der Tat: Der Bauernkrieg spielte sich an zahlreichen Orten ab. Viele hatten ihre eigenen Protagonisten. Die einen setzten auf Verhandlungen, die anderen auf pure Gewalt bei der Durchsetzung ihrer Forderungen, die sie in zwölf Artikeln festgehalten hatten.

Roper erörtert die Ursachen des Aufstands, die, so die Autorin, nicht nur in der Unfreiheit der Bauern zu suchen sind, sondern auch in der Gedankenwelt der damaligen Zeit. So erläutert sie, wie Luthers Thesen den Konflikt anheizten. Denn die Botschaften des Reformators waren nicht nur theologischer Art. Er übernahm auch Inhalte und Ideen aus sozialer und politischer Kritik, die auf den Reichstagen geäußert wurde. Schnell verbreiteten sich Luthers Ansichten im ganzen Reich und veränderten auch die öffentliche Wahrnehmung der Bauern. Kurz zuvor noch vor allem als Bedrohung eingestuft, verkörperten sie in den frühen zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts nun gleichermaßen Unschuld und Rechtschaffenheit. Gleichzeitig verloren Mönche und Nonnen an Ansehen, sie wurden immer öfter mit der Anhäufung von Macht und Reichtum assoziiert.

Durch den Bauernkrieg bekam das gesamte soziale Gefüge Risse – und zwar in geradezu rasantem Tempo. Hierarchien, die natürlich erschienen, bröckelten. Mächtige Herrscher fragten sich, ob Gott sie für ihren Stolz bestrafen und die Bauern gewinnen lassen wolle, schreibt Roper. Doch es sollte anders kommen.

Aufstand für eine Vision

Im Frühjahr 1525 hatten die Bauern drei hitzige Monate lang die Kontrolle über ein Gebiet, das große Teile des heutigen Deutschlands umfasste. Doch die sollte nicht lange Bestand haben. Letztlich unterlagen die Aufständischen, weil ihnen die militärische Übung und die Reiterei ihrer Gegner fehlten. Der Aufstand scheiterte an seinem Ziel, eine Gesellschaft gemäß dem Evangelium zu formen. Der Tod so vieler Menschen führte schließlich kaum zu mehr Freiheit: Die Leibeigenschaft blieb, der Zehnt musste weiter bezahlt werden. Mit der Niederlage der Bauern ging auch die Vision einer neuen Gesellschaft verloren, bedauert Roper. Diese Vision war aus einer Theologie der Schöpfung entstanden, in der Beziehungen zwischen Menschen auf Redlichkeit beruhten, nicht auf Gier und Geiz.

Roper ordnet den Bauernkrieg auch in den historischen Kontext ein und diskutiert dessen Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Heiligen Römischen Reichs – denn trotz der Niederlage der Bauern hatte der Krieg weit reichende Folgen. So wischten die Aufständischen Wallfahrtsorte und Klöster von der Landkarte. Und vielleicht am wichtigsten: Sie stießen den Prozess der Säkularisation an, den später die protestantischen Herrscher vollenden sollten.

Und noch heute stehen wir vor vielen Fragen, die damals relevant waren, schließt Roper ihre Ausführungen: Wem gehören die natürlichen Ressourcen? Wer kontrolliert die Energiequellen? Wie bestellen wir unser Land nachhaltig? Alles Fragen, die bis heute nichts an Aktualität und Konfliktpotenzial eingebüßt haben.

Ropers Buch über den Bauernkrieg ist facettenreich. Es beleuchtet viele Aspekte und Ereignisse, die den knapp zwei Jahre dauernden Aufstand prägten. Man erhält einen guten Überblick über die extrem ungleichgewichtigen sozialen Verhältnisse und Geschehnisse, die den Unmut der Bauern als geradezu notwendig erscheinen lassen. Und schließlich ermöglicht das Buch seinen Lesern, die historischen Ereignisse in den Geist der damaligen Zeit einzuordnen. Kartenmaterial und zahlreiche zeitgenössische Schwarz-Weiß-Abbildungen tragen ebenfalls zum Verständnis bei. So wird das Buch zu einer informativen Lektüre für alle, die sich mit dieser wichtigen Phase deutscher Geschichte beschäftigen möchten.

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