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»Gefühle der Zukunft«: Verliebt in einen Chatbot?

Eva Weber-Guskar stellt angesichts neuester Entwicklungen im Bereich der KI die Frage nach unseren Emotionen gegenüber Maschinen. Sie wird immer dringlicher.

»Das Mitgefühl mit allen Geschöpfen ist es, was Menschen erst wirklich zum Menschen macht.«

So beantwortet Albert Schweitzer (1885–1965) eine Frage, die in der Philosophie seit den Vorsokratikern behandelt wird: Was macht den Menschen zum Menschen und unterscheidet ihn damit von anderen Geschöpfen, die in der Welt leben? Lange Zeit waren mit diesen »anderen Geschöpfen« vor allem Tiere gemeint – so auch bei Albert Schweitzer. Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts aber, als der Begriff »künstliche Intelligenz« geprägt wurde, drängt sich immer mehr auch der Vergleich zwischen Mensch und Maschine auf.

Eva Weber-Guskars Buch »Gefühle der Zukunft« beschäftigt sich mit dem Phänomen des »affective computing« und den mit ihm verbundenen Konsequenzen. Unter »affective computing« versteht man den Versuch, einem Computerprogramm Emotionen beizubringen. Dies schließt das Erkennen, das Hervorrufen und auch die Simulation »echter« Gefühle ein. Die naheliegende Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit einer Maschine, überhaupt Gefühle zu entwickeln, steht hierbei für die Autorin nicht im Vordergrund. Sie geht in ihrem Buch vielmehr der Frage nach, die heutige Gesellschaften ihrer Meinung nach schnellstens beantworten sollten: Wie soll »affective computing« unser Leben beeinflussen?

Beziehungen zu Bots

Um diesen englischsprachigen Fachbegriff etwas greifbarer zu machen, widmet sich die Verfasserin nach der Einleitung in vier Kapiteln den Zusammenhängen, die sich zwischen Mensch und Maschine auf emotionaler Ebene ergeben können. Dabei zeigt sie anhand zahlreicher Beispiele, dass es sich bei diesen Überlegungen keineswegs um bloße Zukunftsmusik handelt. So ist inzwischen vielen Nutzern sozialer Netzwerke klar, dass alle dort hinterlassenen Daten zur Erstellung eines Profils genutzt werden, anhand dessen personalisierte Werbung geschaltet wird. Werden also mehrere Posts verfasst, die darauf schließen lassen, dass ihr Verfasser einsam ist, könnte etwa eine (kostenpflichtige) Datingseite angeboten werden.

KI-Anwendungen wie ChatGPT sind inzwischen weithin bekannt. Weniger bekannt dürften jene Chatbots sein, die eine zwischenmenschliche Beziehung simulieren. Über sie soll man, je nach den eigenen Bedürfnissen, Freunde, Lebens- oder sogar (natürlich auf rein sprachlicher Ebene) Sexualpartner finden können. Diese Programme, die auf LLM – »large language models«, also maschinell lernenden Sprachmodellen – basieren, werden bereits millionenfach verwendet.

»Gefühle der Zukunft« ist besonders stark, wenn es sich mit dezidiert philosophischen Aspekten seines Themas auseinandersetzt. Weber-Guskar legt etwa auf die Frage, wie man einem unbelebten Gegenstand, der ein Computer nun einmal ist, Gefühle entgegenbringen kann, drei Ansätze vor. Der erste Ansatz argumentiert rein behavioristisch und besagt: Wenn etwas – unabhängig von den Mechanismen, die dies ermöglichen – wie ein Mensch klingt, dann kann man mit diesem Etwas auch eine Beziehung führen – genauso wie mit einem Menschen. Diese selten vertretene Position ist als Erklärung für die Art, wie solche Beziehungen funktionieren könnten, aber nur wenig hilfreich, da dem User in aller Regel klar ist, dass er mit einer KI spricht.

Der zweite Ansatz ist ein fiktionaler: Der User unterwirft sich wissentlich der Fiktion, dass das Gegenüber echt ist. Für diesen Ansatz spricht der evolutionär bedingte Hang des Menschen, in unbelebten Gegenständen ein Bewusstsein wahrzunehmen. Der dritte Ansatz ist ein realistischer: Der Nutzer versteht zwar, dass es sich um eine Maschine handelt und zu ihr eigentlich keine emotionale Bindung wie zu einem Menschen möglich ist; er entwickelt aber eine andere, einseitige Form der Beziehung, die so genannten Parabeziehungen ähnelt. Eine solche besteht etwa, wenn jemand einen TV-Moderator so oft im Fernsehen sieht, dass er das Gefühl hat, es bestünde eine Beziehung zu ihm.

Weber-Guskar ist überzeugt: Wir müssen das Thema der Emotionen zwischen Mensch und Maschine stärker diskutieren und dabei ebenso neue Beziehungsformen definieren. In »Gefühle der Zukunft« legt die Autorin dafür ein solides Fundament. Das Werk ist in einem einfachen, aber präzisen Stil geschrieben und vermittelt – auch Lesern ohne besondere Vorkenntnisse – detailliert philosophische Konzepte und technische Hintergründe. Wenn Sie sich also in das neuartige und bisweilen befremdliche Gebiet der emotionalen Beziehungen zu Maschinen wagen wollen, sei Ihnen »Gefühle der Zukunft« wärmstens empfohlen.

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