Direkt zum Inhalt

Dank Hirnforschung zum besseren Unterricht?

Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft sind in den zurückliegenden Jahren auf große Resonanz gestoßen. Sie haben einen regelrechten "Neuro-Boom" ausgelöst, der sich in diversen Disziplinen bemerkbar machte, unter anderem im Bereich der Pädagogik. Wissenschaftler wie Manfred Spitzer, Gerhard Roth, Wolfgang Singer und andere versuchen unter dem Oberbegriff "Neurodidaktik", aus neurowissenschaftlichen Befunden einen praktischen Nutzen für die Erziehungswissenschaft zu ziehen. Doch was kann dieser Ansatz tatsächlich leisten? Ist es richtig, dass Hirnforschern statt Pädagogen "die Expertise zugesprochen wird, über Eltern-Kind-Beziehungen oder auch schulischen Leistungsstress Auskunft zu geben", wie es im vorliegenden Buch heißt?

Rolf Göppel, Professor für allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, diskutiert darin, welchen Nutzen die Erziehungswissenschaft aus neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ziehen kann und wo das Aufeinanderprallen dieser beiden Disziplinen zu Problemen führt. Dabei widmet er sich den Bereichen frühe Kindheit, Kindheit, Jugend, Bildung und Schule. Göppels Resümee ist eindeutig: Er erkennt zwar an, dass die Neurowissenschaften interessante Einblicke in basale Lernprozesse auf neuronaler Ebene liefern – bezweifelt aber deren praktische Relevanz, etwa beim Gestalten einer schulischen Lernumgebung. Neurowissenschaftliche Untersuchungen fänden primär in "hochartifiziellen" Laborsituationen statt, deshalb seien ihre Ergebnisse kaum auf Lehr- und Lernsituationen im Alltag übertragbar. Darauf fußende Empfehlungen für die pädagogische Praxis blieben stets vage und unbestimmt.

Auf eine Stoffwechselstörung reduziert

Eines der Themen, die der Autor behandelt, ist die breite Diskussion um das Störungsbild ADHS. Bestimmte Auffälligkeiten bei Kindern wie ausgeprägter Bewegungsdrang und Aufmerksamkeitsschwäche werden seiner Meinung nach zu stark pathologisiert, also in zu großem Maße als abnorm gedeutet. Eine rein neurobiologische Interpretation dieser Auffälligkeiten reduziere sie auf eine Beeinträchtigung des Dopamin-Stoffwechsels im Gehirn. Das werde der Komplexität der Störung aber nicht gerecht, denn die persönliche Entwicklungsgeschichte, das Beziehungsnetzwerk und die Verantwortung der Eltern würden in dieser Perspektive ebenso ausgeblendet wie gesellschaftliche Faktoren. Zudem verleite die "neurowissenschaftliche Brille" dazu, medikamentöse Therapien als einfache und schnelle Lösung des Problems ADHS anzusehen.

Seltsamerweise preist Göppel immer wieder die Vorteile der Psychoanalyse gegenüber der Hirnforschung. Das verwirrt, da es mit dem Thema des Buchs herzlich wenig zu tun hat. Geht es Göppel in Wirklichkeit darum, in der Auseinandersetzung zwischen diesen Disziplinen Partei zu ergreifen und die Psychoanalyse als überlegen darzustellen? Das wäre allerdings nicht besonders sinnvoll, denn beide verfolgen ja völlig verschiedene Ansätze, was Fragestellung, Methodik und Menschenbild angeht. Der "Verlust des Deutungsmonopols der Psychoanalyse" scheint ihn jedenfalls sehr zu schmerzen. So nachvollziehbar das ist, so unangemessen erscheint es im Kontext des Buchs.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Putzig, aber unerwünscht

Waschbären haben sich in Europa rasant verbreitet – die einen finden sie niedlich, andere sind nur noch genervt, weil die Tiere den Müll plündern oder in den Dachboden einziehen. Dazu kommen Risiken für Gesundheit und Natur. Wie stark schaden sie der heimischen Tierwelt und uns Menschen?

Spektrum - Die Woche – Gegen die Regeln

Dass das Standardmodell der Teilchenphysik Lücken aufweist, ist in der Fachwelt mittlerweile kein Geheimnis mehr, die Gründe für die häufigen Messabweichungen aber schon. Ursache könnten noch unbekannte Teilchen und Kräfte sein. Außerdem in der »Woche«: Bald schon Wasserstoffantrieb für Flugzeuge?

Spektrum Gesundheit – Übergewicht – Was können die neuen Abnehmspritzen?

Wie Abnehmspritzen den Appetit zügeln, für wen sie sich eignen und welche noch wirksameren Mittel auf den Markt kommen könnten, lesen Sie ab sofort in »Spektrum Gesundheit«. Plus: Ob Nickerchen unser Herz und Hirn schützen, wie man Kindern mit ADHS hilft und warum Tuberkulose so gefährlich ist.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.