Wie gefährlich sind Facebook & Co.?
Gesellschaftliche Debatten spielen sich heute großteils auf sozialen Medien wie Facebook und Twitter ab. Ist das ein Grund, die Alarmglocken zu läuten? Die Autoren dieses Sammelbands scheinen dieser Ansicht zu sein: Elf Medienwissenschaftler, Kognitionsforscher, Psychologen/Psychotherapeuten und Philosophen schreiben über »Kognition, Emotion und Identität im digitalen Zeitalter«. Die Stimmen sind dabei ganz unterschiedlich – sowohl in methodischer, stilistischer wie qualitativer Hinsicht. Und auch die Themen, denen sich die Autoren widmen, unterscheiden sich so stark voneinander, dass sich ihre Vielfalt hier kaum abbilden lässt. Daher konzentriert sich diese Rezension auf die Methodik und Form der Beiträge.
Um zu untersuchen, wie Medientechnologien und ihre Formate auf Nutzer wirken – hinsichtlich Physis, Neurologie, Psyche, sozialem Verhalten, Gesundheit und Lebenswandel –, sollten diese sinnvollerweise zunächst einmal »normiert«, also in den zu betrachtenden Aspekten vergleichbar gemacht werden. Dies kann beispielsweise durch genaue Darlegung der Beobachtungsparameter oder genau definierte Begriffe erfolgen. Das geschieht in diesem Buch allerdings nicht. Stattdessen vermengt es auf der sprachlichen Ebene alle möglichen Technologien, Software und Hardware, die sich mit dem Thema »Digitalisierung« verbinden: Phrasen wie »Facebook, Instagramm [sic!], YouTube & Co.« finden sich über den ganzen Band verstreut. Wer sich detailliert mit den einzelnen Technologien auseinandersetzt, dem wird schnell auffallen, dass so Äpfel mit Birnen in eine Schublade wandern: Unterschiedliche Software-Applikationen, Datenformate und nicht zuletzt Schnittstellen- und Vernetzungsfunktionen werden als ein Phänomen dargestellt.
Digitale Entgiftung?
Hierunter leidet die Seriosität des Bands, und es eröffnet methodisch eher fragwürdigen Beiträgen einen Zugang. So leitet die Literaturwissenschaftlerin Daniela Otto aus ihrer Lektüre von Sciencefiction-Romanen konkrete Handlungsanweisungen für Mediennutzer ab (»Digital Detox lohnt sich!«). Auf die Sciencefiction als Argumentationshilfe greifen auch andere Autoren zurück, etwa der Philosoph Michael Pauen, der den Autonomie-Begriff und die Konsequenzen der Digitalisierung auf diesen betrachtet. Solche Ausflüge ins Fiktionale, die Verallgemeinerung der unterschiedlichen Medientechnologien und der Umstand, dass die Autoren für Dritte sprechen (nämlich für die Nutzer und die Folgen von deren Medienkonsum) rufen beim Lesen mitunter Erinnerungen an den vielfältig kritisierten Medienforscher Manfred Spitzer wach, bei dem sich die Forschungsergebnisse nach seinen (negativen) Erwartungen zu richten scheinen.
Spitzer nicht unähnlich argumentiert der Psychotherapeut Robert Schurz im Band. Er berichtet in seinem Beitrag über den Konservativismus der Psyche und ihre Belastung infolge des von den neuen Medien aufgezwungenen Rhythmus. Seine Beispiele zieht er aus seiner therapeutischen Praxis und allgemeinen Erkenntnissen, die er über die »ADS-Gesellschaft« und die »Navi-Generation« gewonnen hat, welche seiner Ansicht nach von den Expertensysteme der digitalen Medien unmündig gehalten werden. Eine Gesellschaft wie im Film »Matrix« sieht Schurz auf uns zukommen. Sein nicht selten zwischen oberlehrerhaft und prophetisch changierender Beitrag spekuliert, wo konkrete Belege nötig wären – etwa wenn es um den Einfluss der Medien auf die Mutter-Kind-Bindung geht. Schurz zitiert hier zunächst Thesen, ohne valide Quellen anzugeben (»heißt es«, »sagen wir«, »so die Theorie«), um dann zu konstatieren: »Die Mutter-Kind-Bindung wird in einer solchen Gesellschaft dann auch irgendwann zur Disposition stehen. Doch das sind Utopien […]«. Und als wäre das noch nicht genug, stellt der Autor einen Katalog auf, der sogar denjenigen Spitzers in den Schatten stellt: Konzentrationsstörungen, Orientierungsdefizit, soziale Instabilität, Bindungslabilität, Sucht, AD[H]S, Schulden, Fettleibigkeit, Kriminalität, Arbeitslosigkeit – ihm zufolge alles Effekte der Nutzung digitaler Medien durch »Dritte«. Kaum etwas davon belegt er (außer durch persönliche Erfahrungen), präsentiert es aber mit einer eskalierenden Rhetorik, die in einem wissenschaftlichen Diskurs nichts zu suchen hat.
Trotz solcher Ausfälle stechen einige Beiträge des Bands durchaus als lesens- und bemerkenswert heraus – etwa Dietrich Dörners Simulation zum »Leben der Mäuse« und die gelungene Herleitung des Autonomie-Begriffs im ersten Teil des Kapitels von Michael Pauen. Unterm Strich ist der Band mit seinen methodisch fragwürdigen und rhetorisch zweifelhaften Beiträgen jedoch eher keine Lektüreempfehlung – zumindest für diejenigen, die nicht bloß nach Bestätigung ihrer Ängste vor »Gehirnen unter Spannung« suchen, sondern sich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung im Sinne des Buch-Untertitels wünschen.
Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und Springer-Verlag GmbH gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel aus dem Springer-Verlag mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.
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