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Drittmittelforschung – ein Fluch?

Das Buch beleuchtet, wie Wirtschaftsvertreter und Lobbyisten die angeblich unabhängige Hochschulforschung beeinflussen. Christian Kreiß, Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen, steigt mit der Frage ein, was denn eigentlich schlecht daran sei, wenn die Industrie den Hochschulbetrieb mitfinanziert. Und liefert gleich die Antwort darauf, indem er konkrete Fallbeispiele aus verschiedenen Branchen präsentiert, an denen er zeigt, "wohin einseitig interessengeleitete Forschung auf der Basis von Industriegeldern führen kann."

Eines dieser Beispiele ist der schwedische Wissenschaftler Ragnar Rylander, der im Dienst der Tabakindustrie die Gefahren des Passivrauchens vorsätzlich verschleierte. Ein anderes ist die Publikationspraxis in der Pharmaforschung, insbesondere in Form des Vertuschens unerwünschter Studienergebnisse. Auch über Genfood-, Atomenergie- und Pestizidforschung weiß Kreiß Skandalöses zu berichten. Seine Fallbeispiele sind traurig und zeugen von erschreckender Skrupellosigkeit.

Nach der Pfeife des Geldgebers

Infolge verschiedener Reformprozesse seit den 1980er Jahren (etwa New Public Management und Bologna-Prozess) seien die europäischen Universitäten zunehmend auf Drittmittel angewiesen, schreibt der Autor. Also auf Gelder, "die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, sondern aus Mitteln Dritter finanziert werden" (§ 25 Absatz 1 Hochschulrahmengesetz). In Absatz 4 dieses Paragrafen heißt es, dass die Mittel "für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften" seien. Darin sieht Kreiß eine große Gefahr für die Glaubwürdigkeit und Integrität der Forschung. Industrievertretern sei es beispielsweise möglich, im Rahmen von Stiftungsprofessuren erheblichen Einfluss auf die Hochschulforschung zu nehmen: wenn nämlich die Professur mit einer branchen- oder gar unternehmensnahen Person besetzt wird.

Unter anderem geht Kreiß auf das "Carissma"-Forschungsprojekt der Technischen Hochschule Ingolstadt ein. Dessen Ziel lautet, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. An dem Projekt beteiligt sich massiv die Automobilindustrie. Bislang, schreibt der Autor, hätten solche Vorhaben zu technischen Neuerungen geführt, die die Fahrzeuge teurer machten und somit die Gewinne der Industrie erhöhten. Zwar, räumt er ein, seien die Autos tatsächlich sicherer geworden. Allerdings würden derart industrienahe Projekte bestimmte Ansätze von vornherein nicht verfolgen – etwa den, das Fahrzeugaufkommen zu verringern. Kreiß fragt rhetorisch, warum in Gremien, die über die Vergabe entsprechender Forschungsgelder entscheiden, kaum umweltschutznahe Nichtregierungsorganisationen vertreten seien. Seine Erklärung: weil diese den Interessen der Unternehmen entgegenstehen.

Und wir sind nur die Konsumenten

Auch die EU-Förderprogramme hätten Schieflage, da es ihr erklärtes Ziel sei, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Kreiß sieht hierin eine einseitige Entwicklung, die von der breiten Gesellschaft finanziert wird, aber überwiegend der Privatwirtschaft nützt. Für hochgradig bedenklich hält der Autor den Einfluss der Industrie auf Schulen und Kitas. Dort sollen durch so genanntes Deep Lobbying (Tiefeneinflussnahme) die Kinder von heute zu Konsumenten von morgen herangezogen werden. So ist es Kreiß zufolge alles andere als ein Zufall, dass viele Computer in deutschen Klassenzimmern von bekannten Herstellern gesponsert werden.

Die Drittmittelfinanzierung von Forschungsprojekten durch die Industrie sei eine verdeckte Subvention, meint der Autor, da die Industriepartner die Kosten meist nur zum Teil übernähmen. Die übrig bleibenden Finanzierungslücken schließe größtenteils der Staat und subventioniere damit im Grunde die Forschung der Industrie – ein marktverzerrender Eingriff seitens der Politik, der häufig intransparent und demokratisch nicht legitimiert beschlossen werde.

Wenn Industrievertreter in die Hochschulforschung investieren, so der Tenor des Buchs, dann hat das Folgen für die Gesellschaft. Kreiß zufolge vertraut das breite Publikum immer weniger in die Unabhängigkeit und Integrität von Wissenschaftlern. Er unterbreitet verschiedene Lösungsvorschläge, wie das Problem in den Griff zu bekommen sei. Beispielsweise spricht er sich gegen direkte Geldflüsse aus und wirbt für Fondslösungen sowie für die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Der Autor beleuchtet ein wichtiges Thema, was ihm hoch anzurechnen ist. Allerdings muss man sich als Leser darüber im Klaren sein, dass drittmittelfinanzierte Vorhaben in Deutschland nur einen kleinen Teil aller Forschungsprojekte ausmachen. Vor diesem Hintergrund einen breiten Einfluss der Industrie zu postulieren, ist gewagt. Unterm Strich wirkt Kreiß’ Plädoyer gegen die Drittmittelforschung daher recht stark meinungsgefärbt.

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