»Gerechtigkeit für Tiere«: Appell zum Handeln
»Letztlich muss moralisches Denken praktisch werden, ansonsten ist es nutzlos.« In diesem Sinne hat Martha Nussbaum eine theoretische Grundlage zum juristischen Schutz von Tieren verfasst. Denn daran mangelte es der Autorin zufolge bislang. Zwar gibt es philosophische Ansätze, um das tierische Recht auf ein Leben in Würde zu begründen. Doch beschränkten sich diese etwa auf Primaten oder bloße Schmerzvermeidung. Nussbaum, die als Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago lehrt, geht deutlich weiter. Ihr Buch ist nicht nur eine emotionale Ansprache von flammender Dringlichkeit, es ist auch eine sorgfältige Abwägung des aktuellen Wissens über die Fähigkeiten von Tieren und der sich daraus ergebenden, moralischen Konsequenzen.
Nussbaum zufolge wollen alle empfindungsfähigen Tiere sich vollständig entwickeln und ein gutes Leben führen. Sie sind komplexe Wesen, die für sich wichtige Ziele anstreben. Damit seien sie, so wie Menschen, nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern so genannte Selbstzwecke und verfügten über Würde. »Es ist irrational, alle Menschen als Personen mit Rechten zu sehen und alle Tiere nur als Objekte.« Als Subjekte könnten auch Letztere »Unrecht im Sinne einer unrechtmäßigen Vereitelung eines bedeutsamen Strebens« erleiden. Konsequenterweise fordert die Philosophin, dass Tiere ihre Rechte vor Gerichten einklagen können – juristisch vertreten durch fachkundige Stellvertreter oder Organisationen.
Das passende theoretische Fundament liefert sie mit dem einst von ihr und dem Ökonomen Amartya Sen entwickelten »Fähigkeitenansatz«, den sie nun auf Tiere ausweitet. Er umfasst notwendige Bedingungen, die es allen empfindungsfähigen Lebewesen ermöglichen sollen, sich vollständig zu entwickeln. Nussbaum stellt damit eine Art virtuelle Verfassung bereit, an der sich Politiker und NGOs orientieren können. Sie weist darauf hin, dass die Umsetzung nur gelingen kann, wenn genügend Informationen über die artspezifischen Bedürfnisse vorliegen.
Wer zum »Klub« der empfindungsfähigen Lebewesen gehört, ist Kernfrage ihres Buchs. Haben alle Tiere auf Gerechtigkeit basierende Ansprüche? Für die Autorin verläuft die Grenze entlang des Vorhandenseins eines wahrnehmenden Bewusstseins und der Fähigkeit bedeutsamen Strebens – Kriterien, die die allermeisten Wirbeltiere, aber auch Kopffüßer wahrscheinlich erfüllen. Nussbaum besteht darauf, dass solche Geschöpfe um ihrer selbst willen wichtig sind. Damit grenzt sie sich von der Ethikerin Christine Korsgaard ab, der sie philosophisch zwar nahesteht, die jedoch den Wert eines Tieres letztlich von der Ähnlichkeit zum Menschen her ableitet.
Immer wieder reißt Nussbaum die gedachten Grenzen zwischen uns und den Tieren ein, packt uns damit bei der Eitelkeit. Etwa in Bezug auf Moral und Altruismus. Diese beruhen schließlich auf unserer instinktiven, evolutionären Ausstattung – wir finden sie ebenfalls bei Elefanten, Affen, Hunden. Wir sollen unsere Fähigkeiten als das sehen, was sie sind: eine besondere und wunderbare Art der tierischen Natur. Nieder mit der Scala Naturae, also der Schöpfungsleiter mit dem Menschen an der Spitze! Wer der Autorin hier Ideologie vorwerfen will, zielt ins Leere, denn ihre Philosophie erdet sie stets durch Biologie und wissenschaftlichen Konsens.
Die große Stärke des Buchs liegt nicht nur darin, dass Nussbaum es schafft, eine rational begründete Empörung zu schüren. Es gelingt ihr auch, nicht dogmatisch zu sein, denn »ein Ideal muss erreichbar und realistisch sein«. So gibt sie existierende Dilemmata zu, die sich ihres Erachtens aber lösen lassen: Medizinische Experimente (zum Retten von Leben)? Ja, wenn es keine Alternative gibt. Das Tier muss dann artgerecht und möglichst schmerzfrei leben können. Auch hat sie keine prinzipiellen Einwände gegen die Nutzung tierischer Produkte, solange die Tiere im Rahmen einer vorteilhaften Symbiose ein würdiges Leben führen können (»Milchwirtschaft ist moralischer Horror momentan«).
Die Weltsicht Nussbaums ist nicht fatalistisch. Sie animiert die Lesenden zum Handeln – durch Staunen, Mitgefühl und Empörung. Zudem erinnert die Philosophin daran, dass es durchaus Gründe zur Hoffnung gibt: etwa den Rückgang des Fleischkonsums oder Laborfleisch. »Wir leben in einer Zeit des großen Erwachens.«
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben