Crashkurs im Wellensurfen
Der Perserkönig Xerxes habe, so heißt es, einmal das Meer auspeitschen lassen, weil es mit seinen Wellen eine Brücke zerstört hatte. Ein ziemlich vergebliches Unterfangen, findet der Psychologe Matthias Wengenroth. In seinem Ratgeber ermuntert er Menschen mit Depressionen, ihren Schmerz anzunehmen (»auf den Wellen zu surfen«), statt ihn, wie der antike König, ohne Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen. Wer es schaffe, destruktive Gedanken zu entmachten und gleichzeitig seine persönlichen Werte zu verwirklichen, könne auch mit Ballast auf der Seele ein glückliches Leben führen, so der Psychologische Psychotherapeut.
Ein Arbeitsschritt pro Woche
Auf 160 Seiten entwirft er ein klar strukturiertes Selbsthilfeprogramm und bedient sich dabei gängiger Methoden der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (kurz: ACT). Neu ist, dass diese Techniken ganz gezielt auf die Symptome der Depression gemünzt werden, etwa auf Selbstzweifel, negative Gedankenschleifen, Antriebslosigkeit, Schwarzmalerei. Wengenroth hält die Theorie knapp und lässt viel Raum für Übung und Selbsterfahrung. Den Lesern empfiehlt er, systematisch vorzugehen: ein Arbeitsschritt pro Woche entlang eines vorgegebenen Trainingsplans. Neben ein paar alten Bekannten der klassischen Verhaltenstherapie bei Depressionen (Aktivitätenpläne schreiben, kurz- und langfristige Verhaltenskonsequenzen ersinnen, Fallen der Gefühlsregulation erkennen) besteht dieser hauptsächlich aus Bausteinen der so genannten dritten Welle der Verhaltenstherapie. Konkret heißt das: üben, achtsamer zu sein. Gefühle »ziehen zu lassen«, statt sie verändern zu wollen. Mit sich selbst mitfühlen. Und zu erkennen: Was ist mir eigentlich wichtig im Leben?
Mit zahlreichen Gedankenexperimenten wie »Was würden Sie mit einem Lottogewinn anstellen?«, Metaphern und Merkblättern führt der Autor die Leser durch das Programm. Der therapeutische Werkzeugkoffer, den Wengenroth anbietet, ist empirisch fundiert. Die Übungsabfolge ist schlüssig und abwechslungsreich, auch wenn ein paar Fallbeispiele mehr die Aufgaben noch greifbarer gemacht hätten. Spätestens da, wo es ums Ausprobieren statt ums reine Beobachten geht, wird es aber ganz schön herausfordernd. Bei einigen Übungen dürfte es Menschen mit mittelschweren bis starken Depressionen überfordern, sie selbstständig umzusetzen. Für Leser mit leichten Depressionen jedoch, für solche in therapeutischer Begleitung, als frische Anregung in einer bereits länger dauernden Therapie sowie für Psychotherapeuten bietet das Selbsthilfebuch einen schönen Crashkurs im Wellensurfen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.