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»Globale Überdosis«: Scheusal oder Segen?

Urin, Schiffsantrieb oder fieser Feinstaub: Die Geoökologin Anne Preger erzählt mit Witz, Charme und präzisem Wissen vom guten und schlechten Stickstoff. Eine Rezension
Ein Feld wird von einem Traktor gedüngt.

Feinstaub. Das klingt wie feine Sahne, extrafeine Schokolade oder feine Milde für genussvollen Kaffee. Ein Attribut, das wirklich exquisite Dinge verdienen. Doch Anne Preger benennt es gleich zu Anfang ihres Buchs klar: Nein, diese Art feiner Staub macht Menschen krank und mehr. Ein besonders trauriges Beispiel ist das Mädchen Ella Kissi-Debrah. Sie lebte an einer Hauptverkehrsader in London und starb an den Folgen des starken Verkehrs. Sie sei wohl der erste Mensch der Welt, bei dem »Luftverschmutzung« als Todesursache mit im Totenschein steht, schreibt Preger.

Allerdings sind es längst nicht nur Feinstaub und Stickoxide in der Luft, die Menschen und Natur schaden. Seitdem gelungen sei, »massenhaft« Stickstoff aus der Luft in Dünger zu verwandeln, steigen nicht nur die Erträge der Landwirtschaft. Im Übermaß eingesetzt kontaminiert der Stoff inzwischen das Trinkwasser. In die Luft schwirrt nicht nur »megafieser Feinstaub« herum, sondern auch eine »Überdosis« an Stickstoffverbindungen, die ganze Wälder düngen. Aber selbst wenn Bäume davon profitieren und besser wachsen, werden magere Standorte durch diese Luftdüngung von Sträuchern überwuchert. Pflanzen, die wichtig für Wildbienen und andere Insekten sind, verschwinden.

Man meint fast, man höre die Autorin vorlesen

Anne Preger ist Geoökologin und hat in Braunschweig und im schwedischen Uppsala studiert. Sie nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine Reise zu den Krisenherden von Stickstoff: »N war immer auf der Liste der Dinge«, zu denen sie mal etwas Größeres machen wollte, sagt sie. Ihr Sachbuch hätte sie so schreiben wollen, dass sie es selbst gern lesen würde. Und das gelingt ihr großartig. Es ist so ungemein unterhaltsam und flüssig zu lesen, dass man fast meint, man höre sie vorlesen. Keine verquasten Sätze, sondern Tacheles, verständlich und eben witzig. Vielleicht gelingt ihr das Erzählen so gut, weil sie auch Podcasts zu dem Thema macht. Dann blitzen immer wieder Sätze auf, die zum Schmunzeln verführen, wenn sie sympathische Formulierungen reinhaut wie: »Tschöö Moor, (…) moin Treibhausgase«.

Who’s who des Stickstoffs

Ihr gelingt die Kombination von Wissen und Unterhaltung – wobei Wissen immer im Vordergrung steht, was allein die 411 lesenswerten Quellenangaben zeigen. Und bevor es zu unübersichtlich wird, fügt sie ein »kleines Who’s Who des Stickstoffs« ein und erklärt die verschiedenen Stickstoffverbindungen wie Ammonium, Ammoniak, Nitrat und Co.

Wie holen sich Pflanzen Stickstoff aus der Luft, welchen Anteil am Feinstaub hat Stickstoff, wie funktioniert das Haber-Bosch-Verfahren, welche Rolle spielten die Forscher im Ersten Weltkrieg, welche alternativen Stickstoffdünger gibt es, welche Rolle spielt Ammoniak als grüner Schiffsantrieb und warum tragen Katzen und Hunde an zu viel an Düngung bei? Diesen Fragen widmet sich die Autorin in dem Buch.

Manchmal sind Studien nicht ganz eindeutig, auch das schlüsselt sie nachvollziehbar auf. So gibt es bei einer Coronaerkrankung zwar signifikant mehr Todesfälle, wenn die Belastung durch Luftschadstoffe größer ist. Ein kausaler Zusammenhang ist allerdings bislang nicht belegt. Oder sie führt die Studie an, in der die Schäden durch Stickoxide und Feinstaub von »hundert Lungenärzten« bagatellisiert wurden. Eine Studie, bei der die Tageszeitung »taz« später aufdeckte, dass etliche Rechenfehler gemacht wurden.

Neben den Fakten berichtet Preger auch von den Menschen, die sie besucht. Menschen, die zu Stickstoff, der Natur und den Folgen forschen, Bauern und Bäuerinnen, die auf die besonders schädliche dritte Düngung verzichten, Bäckerinnen, die aus diesem Wasserschutz Weizenbrot backen, oder Biologinnen, die erklären, wie der Sonnentau zu seiner Stickstoffportion kommt.

Es ist ein feines Buch, das dieses Prädikat verdient, in dem Preger treffend die Gefahren von übermäßigen Stickstoffverbindungen schildert. Und feiner Kaffee kommt übrigens auch in dem Buch vor: Denn Kaffeesatz ist ein super Stickstofflieferant für den Kompost im eigenen Garten.

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