Buchkritik zu »Glück und Strategie auf Finanzmärkten«
Die Mathematik hat auf den Finanzmärkten einen spektakulären Einzug gehalten und spielt heute im Risiko-Management der Banken eine entscheidende Rolle. Worum geht es dabei? Nicht um eine Vorhersage darüber, ob dieser oder jener spezielle Kurs steigen oder fallen wird. Das mögen andere Leute – mit mehr oder weniger Erfolg – versuchen. Die mathematische Modellierung geht hingegen davon aus, dass es nicht möglich ist, sichere Gewinne – so genannte Arbitrage-Gewinne – zu machen; dieses No-Arbitrage-Prinzip ist sogar der Angelpunkt der modernen Finanzmathematik. Wenn die Mathematik einen also nicht unmittelbar reich machen kann – wozu taugt sie dann? Die Antwort wirkt auf den ersten Blick bescheiden: So erhält man eine Aussage über den Preis einer Option auf eine Aktie im Verhältnis zum Preis der Aktie selbst. Für diese Theorie der Optionspreisbewertung haben Robert C. Merton und Myron S. Scholes 1997 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten (Spektrum der Wissenschaft 12/1997, S. 24). Inzwischen gehen die Anwendungen dieser Theorie weit über dieses Beispiel hinaus. Die verwendeten Methoden sind keineswegs elementar. Wer die Resultate dieser Theorie intuitiv verstehen will, muss zuvor das Konzept eines stochastischen (das heißt vom Zufall abhängigen) Prozesses erfassen. Bisher gibt es kaum Bücher, die diese Thematik einem breiteren Leserkreis näher zu bringen versuchen. Es ist daher erfreulich, dass sich mit Nicolas Bouleau ein Mathematiker dieser Aufgabe stellt, der in der Finanzmathematik als Forscher aktiv ist. Der französische Originaltitel, der als "Martingale und Finanzmärkte" zu übersetzen wäre, beschreibt das Thema wesentlich treffender als der eher glücklos gewählte deutsche Titel. Ein "Martingal" ist die mathematische Beschreibung eines fairen Spiels, und dieser Begriff spielt eine zentrale Rolle für die Theorie: Das "Fundamental Theorem of Asset Pricing" besagt, dass ein Spiel ohne Arbitrage-Möglichkeiten durch eine geeignete Änderung der Wahrscheinlichkeits-Gewichte zu einem fairen Spiel – also zu einem Martingal – wird. Dieser mathematische Satz, der auch eine interessante intuitive Interpretation zulässt, schlägt eine Brücke zwischen dem ökonomisch intuitiven No-Arbitrage-Prinzip und der Theorie der Martingale. Nach einem bekannten Ausspruch von Albert Einstein soll man alles so einfach wie möglich erklären – aber nicht einfacher! Der Autor bemüht sich redlich, dem ersten Teil dieser Forderung zu entsprechen und die grundlegenden Ideen allgemein verständlich zu entwickeln. Der Idee des "Hedgens" einer Option wird breiter Raum eingeräumt; dieser neu-deutsche Ausdruck für das Absichern einer Option ist inzwischen allgemein üblich und treffender als die im Buch verwendete, wörtlich aus dem Französischen übernommene Übersetzung "Deckung einer Option". Der Autor beschreibt die Konzepte, indem er zunächst mathematische Begriffe und Formeln so lange wie möglich vermeidet; und das ist gut so. Dann allerdings kommt der Punkt, an dem es ohne die mathematischen Konzepte nicht mehr geht – und an dieser Stelle lässt der Autor sie ohne weitere Erklärung einfach vom Himmel fallen. Dadurch bleibt die Darstellung zwar kompakt, jedoch um den Preis, dass ein Laie keine Chance hat, die entsprechenden Passagen zu verstehen; er kann sie nur mit Staunen überlesen. Trotzdem – oder vielleicht gerade durch diese Technik des Weglassens – wird das Buch in einem bemerkenswerten Maß der schwierigen Aufgabe gerecht, die Grundideen der modernen Finanzmathematik darzustellen, ohne sich in technische Details zu verheddern. Allerdings versteigt sich der Autor öfters zu durchaus apodiktischen Aussagen, die keineswegs dem mathematischen Grundsatz der Beweisbarkeit folgen. So bemerkt er etwa (S. 64), dass das Prinzip des Delta-Hedgens "eine direkte und systematische Besteuerung der Geschäfte unmöglich" macht. Die hier angesprochene "Tobin-Tax", eine weltweit zu erhebende Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen, würde bei der praktischen Durchführung zweifellos auf große Schwierigkeiten stoßen. Dass sie aber "unmöglich" sei, kann daraus nicht abgeleitet werden. Jedenfalls bleibt der Autor den Beweis schuldig. Leider macht die geradezu skandalöse Übersetzung das Lesen immer wieder mühsam. Der Übersetzer ist offenbar weder mit den mathematischen noch mit den ökonomischen Begriffen der Theorie vertraut und kommt stellenweise ("Vormundschaftsbehörde" statt "Aufsichtsbehörde") der Karikatur von Computer-Übersetzungen bedenklich nahe.
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