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Zufallsgeprägt und dennoch vorhersehbar

Feld- und Laborstudien erlauben, der Evolution zuzuschauen.

Liefe die Evolution ein zweites Mal genauso ab? Würden sich die heutigen Organismen, etwa der Mensch, erneut entwickeln? Lange Zeit lautete die einhellige Antwort unter Evolutionsbiologen »Nein« – zu sehr seien Mutation und Selektion zufallsbestimmt. Es häufen sich aber die Hinweise darauf, dass Evolution mitunter sehr wohl vorhersagbar ist und bestimmte Muster wiederholt auftreten. Das schreibt der Biologie Jonathan Losos in diesem Buch.

Losos ist Professor für evolutionäre Biologie in Harvard und Vertreter der experimentellen Evolutionsforschung. Sein Werk bietet umfassendes Wissenschaftswissen ebenso wie zahlreiche Anekdoten, beispielsweise wie der Autor sich als reisender Doktorand mit Hurrikanen und Drogenhändlern auseinandersetzen musste oder welche logistischen und handwerklichen Herausforderungen nötig sind, um nachzuvollziehen, wie sich die Fellfarbe von Hirschmäusen entwickelt. Man spürt beim Lesen durchweg die Begeisterung des Autors für sein Fach.

Ähnliche Umwelt, ähnliche Anpassungen

Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte. Im ersten stellt Losos das Prinzip der evolutionären Konvergenz vor, also das Phänomen, dass Organismen verschiedener Arten ähnliche Merkmale ausprägen. Das geschieht häufiger, als viele annehmen. Von der Koffeinbildung in verschiedenen Pflanzenarten über die ähnlich aufgebauten Augen von Wirbeltieren und Tintenfischen bis hin zur gleichartigen Sozialstruktur von Termiten und Ameisen: Nahezu jedes Prinzip scheint sich mehrmals unabhängig voneinander entwickelt zu haben. Es gibt in der Natur offenbar die Tendenz, auf ähnliche Umweltbedingungen mit ähnlichen Anpassungen zu reagieren. Bekannte Beispiele hierfür sind die Darwinfinken sowie die Anolis-Echsen, Losos' eigene Studienobjekte, die in dem Buch immer wieder auftauchen. Auch bei diesen sind Arten, die ähnliche Merkmale ausgeprägt haben, nicht zwingend diejenigen, die genetisch am engsten miteinander verwandt sind. Stattdessen hat sich in ihren Inselpopulationen mehrfach dasselbe Merkmal unabhängig voneinander entwickelt, sofern es einen evolutionären Vorteil bedeutete.

Wie Forscher evolutionäre Vorgänge wissenschaftlich untersuchen – sei es im Labor oder in der freien Natur –, davon berichten der zweite und dritte Abschnitt des Buchs. Losos stellt ausführlich Schlüsselexperimente vor, die zum heutigen Verständnis der Evolution beigetragen haben. Von den ersten Versuchen mit Birkenspannern über Feldstudien zur Farbentwicklung von Guppys bis zu Losos' eigenen Untersuchungen bezüglich der Beinlänge von Anolis-Echsen: Wie Arten sich anpassen, lässt sich oft vorhersagen und geschieht häufig deutlich schneller, als Darwin vermutete. Eine elegante Möglichkeit, die Wiederholbarkeit der Evolution unter Laborbedingungen zu testen, stellt das »Long Term Evolution Experiment« von Richard Lenski dar. Hier vergleichen Forscher die Entwicklung von zwölf parallel wachsenden E.-coli-Populationen über zehntausende Generationen hinweg, spielen das Band der Evolution also zwölfmal unabhängig voneinander ab. Obwohl sich viele Populationen ähnlich entwickeln, beschreiten einige mitunter einen ganz neuen evolutionären Pfad.

All diese Versuche veranschaulichen, dass gewissermaßen beide Lager Recht haben. Oft lässt sich Evolution vorhersagen; zugleich hängen die Anpassungen aber von zufälligen Mutationen ab, die hin und wieder für eine völlig neue Richtung sorgen.

Ob der Mensch tatsächlich ein zweites Mal entstehen würde, ist fraglich. Womöglich hätte intelligentes Leben – wie Losos im Ausblick darlegt – auch aus Dinosauriern hervorgehen können: in Form zweibeiniger, vogelähnlicher Wesen, die Werkzeuge benutzen. Das überzeugende Buch beschreibt auf unterhaltsame Weise die Wege der neueren Evolutionsforschung und vermittelt viele Grundlagen hierzu.

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