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»Gras«: Teuflisches Gras

Bernhards Kegel Wissenschaftsthriller erzählt die spannende Geschichte vom Widerstand einer Pflanze, vom wissenschaftlichen Untersuchungsdrang einer Botanikerin und einem eigensinnigen kleinem Mädchen.
In der Stadt gewinnt man leicht ein falsches Bild von Natur

»Eine unbekannte Pflanze, hier am Bundesplatz, mitten in Berlin? Das hatten die Leute nicht erwartet. (…) Warum muss man denn wissen, wie das Zeug heißt? Es ist irgendein Gras. Das reicht doch.«

Berlin wird von einem sehr widerstandsfähigen und mannshohen Gras so gut wie vollständig überwuchert. Die Pflanze drückt Pflastersteine nach oben, zwängt sich durch mangelhaft ausgebesserte Asphaltdecken. Mähen, vergiften, den Boden ausheben: Nichts wirkt gegen diese unbekannte Grasart. Bald ist die Hauptstadt wie ausgestorben. Natalie Hernes, eine Botanikerin, ist eine der wenigen, die versuchen, in der Graswelt zu überleben. Sie war die Erste, die diese grüne Invasion entdeckte und wissenschaftlich untersuchte. Sie erstellte sogar Karten ihrer Ausbreitung – doch das Geheimnis der Pflanze kann auch sie, trotz genetischer Untersuchungen, kaum ergründen. Immer wieder erinnert sie sich in Rückblenden daran, wie es war, als die ersten zarten und sehr grünen Stängel in der Stadt erschienen – und an das Leben vorher.

Wissenschaftliche Erklärungen bleibt der Autor Bernhard Kegel weitgehend schuldig. Es ist auch kein übertriebener Thrill in seinem Wissenschaftskrimi, auch wenn ab und an Endzeitmotive auftauchen. In seinem Roman widmet er sich der Hauptperson Natalie Hernes, die zusammen mit einem verwaisten Mädchen versucht, in der sich verändernden Umgebung zu überleben. Kegel malt aus, was passiert, wenn viele Bauteile der Zivilisation wegfallen. Wenn kein Arzt mehr kommt, Nahrungsmittel und Wasser knapp werden. Es ist trotz drohenden Grauens eine sympathisch erzählte Geschichte vom Widerstand einer Pflanze, vom wissenschaftlichen Untersuchungsdrang einer Botanikerin und einem eigensinnigen kleinem Mädchen.

Brüchige Zivilisation

Die veränderte Umwelt verändert auch das Zusammenleben und zeigt, wie brüchig die Zivilisation ist. Der Autor schildert, wie zunächst in der Stadt per Nachbarschaftshilfe Lebensmittel auf zerstörten Straßen zu anderen Menschen gebracht werden, die es nicht mehr aus ihren Häusern schaffen. Und wie dann die Stimmung umschlägt, wie es zu Plünderungen und gewalttägigen Ausbrüchen kommt. Wie die politischen Entscheidungsträger der stadtweiten Pflanzeninvasion eher hilflos gegenüberstehen – eine ähnliche Situation könnte man sich auch mit Blick auf die Folgen des Klimawandels vorstellen. Aber der Autor Bernhard Kegel bleibt erfrischenderweise bei seinem speziellen Szenario.

Denn es ist das sonst unscheinbare Gras, das Bernhard Kegel hier zur Herausforderung für die Menschen werden lässt – eine originelle Idee! Spannend und unterhaltsam erzählt er, was passiert, wenn die Natur sich ihren Raum nimmt und der Mensch kaum ein Mittel dagegen hat.

Kegel ist studierter Chemiker und Biologe und hat schon zahlreiche Wissenschaftskrimis und Sachbücher geschrieben. Mal geht es romanhaft zu, mal kritisiert er in seinen Büchern den Betrug in der Wissenschaft, mal schreibt er Sachliches zu Dinosauriern und ihren Nachfahren. In seinem Buch Die Natur der Zukunft klingt das Thema aus »Gras« irgendwie schon an. Denn zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Tier- und Pflanzenwelt zählt auch die Ausbreitung invasiver Arten. So zum Beispiel die der aus Pakistan stammenden Halsbandsittiche, welche die Bonner Rheinaue in Schwärmen überfliegen, oder auch die Ausbreitung von Biberratten, die sich in dem Park breitmachen. Sie alle bringen das Ökosystem und die Nahrungsnetze aus dem Takt. Und selbst wenn Kegel hier noch Reales schildert – auch diese Geschichten wirken, obwohl subtil erzählt, auf ihre Weise auch erschreckend.

Bei »Gras« handelt es sich um eine fiktive Geschichte, die aber nicht nur Schattenseiten hat. Denn schließlich überwuchert das Gras nicht nur ganz Berlin und vertreibt die Menschen, es schafft auch neue Lebensräume für Insekten und Tiere. Vielleicht, so kommentiert es eine Forscherin im Buch, muss man die Stadt »neu denken«, wenn man das Gras nicht bekämpfen kann. Doch so weit sind die Menschen, von denen im Buch die Rede ist, noch nicht.

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