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Wandelbare Vergangenheit

Am 2. Mai 2005 fand in London das erste Reunion-Konzert der britischen Rockband "Cream" statt, die als so genannte Supergroup gilt. Innerhalb einer Stunde waren die Konzertkarten ausverkauft und erzielten auf dem Schwarzmarkt bis zu 2500 Pfund. Die Musiker waren damals zwischen 60 und 64 Jahre alt, die Zuschauer zwischen 50 und 60. Ganz offensichtlich handelte es sich bei den eifrigen Konzertbesuchern, die so viel von der Musik des legendären Trios hielten, nur um Altersgenossen.

Dieses merkwürdige Phänomen ist laut Douwe Draaisma, Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie an der niederländischen Universität Groningen, auf den so genannten Reminiszenz-Effekt zurückzuführen. Bittet man Menschen, von autobiografisch bedeutsamen Erlebnissen zu erzählen, kommt eine eigentümliche Asymmetrie zum Vorschein. Probanden ab etwa 50 erinnern sich besonders häufig an Ereignisse aus der Zeit, in der sie zwischen 15 und 25 Jahre alt waren. In den Erinnerungen der Jüngeren hingegen nimmt keine bestimmte Lebensphase übermäßig viel Platz ein.

Im Gedächtnis bleibt das Intensive

In einem Experiment des berühmten Psychologen Daniel Kahneman unterzogen sich 154 Patienten einer Darmspiegelung. Dabei sollten sie regelmäßig die Stärke ihrer Schmerzen angeben. Eine knappe Stunde später wurden sie nochmals gebeten, die Pein des Eingriffs einzustufen. Das verblüffende Ergebnis: Wie sich die Probanden an die erlittene Qual erinnerten, hing allein von der Intensität des stärksten Schmerzes und vom Schmerzniveau gegen Ende der Prozedur ab. Die Dauer der Darmspiegelung spielte dagegen keine Rolle. Die Teilnehmer empfanden den Eingriff sogar als weniger belastend, wenn er um mehrere, nicht allzu schmerzhafte Minuten ausgedehnt wurde.

Draaisma schließt daraus mehrere Dinge, wie er im vorliegenden Band darlegt. Zum einen registriere das Gedächtnis die Zeitdauer alles andere als präzise. Zum anderen entspreche das, was man erlebe, nur selten dem, woran man sich später erinnere. Und wenn Erinnerungen im Nachhinein verändert würden, habe das wiederum Auswirkungen darauf, wie man sich an folgende Erlebnisse erinnern werde.

Seit Langem wissen Forscher, dass sich unsere Gedächtnisinhalte immer wieder wandeln – im selben Maß, wie sich auch unsere Lebensumstände, Interessen und Bedürfnisse ändern. Allein schon deshalb können sie keine detailgetreuen Abbilder der Vergangenheit sein. Stattdessen werden sie umgeschrieben, neu gewichtet, geordnet und interpretiert. Wie das im Einzelnen vor sich geht und welche Folgen das hat, erläutert der Autor in seinem Buch anhand von Fallgeschichten.

Draaisma wartet ein weiteres Mal mit einer Fülle verblüffender Einsichten über die Fallstricke der menschlichen Psyche auf. Ein fachlich ebenso wie sprachlich exzellentes Werk.

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