Buchkritik zu »Harry Potter und der Feuerkelch«
Nach den dramatischen Ereignissen des letzten Sommers konnte eine heftige Diskussion im Ministerium und in der beunruhigten Öffentlichkeit nicht ausbleiben, vor allem zu der Frage, ob die Katastrophe hätte vermieden werden können, und durch wen.
Nachdem sich die erste Erregung gelegt hat, besteht nun kein ernsthafter Zweifel mehr daran, dass Lord Voldemort, der übelste aller Giftmischer und Schwarzkünstler, seine Macht wiedererlangt hat. Außerdem neigt man nach reiflicher Überlegung mehr und mehr der Meinung zu, dass Albus Dumbledore, dem Chef der Zauberschule Hogwarts, eine Vernachlässigung seiner Pflichten nicht vorzuwerfen ist.
Immerhin war es ihm gelungen, um das Gelände von Schloss Hogwarts eine passwordgeschützte firewall zu legen, die den raffiniertesten Attacken standhielt. Der Zauberlehrling Harry Potter, der soeben sein viertes Lehrjahr erfolgreich abgeschlossen hat, war innerhalb der Mauern vor den Nachstellungen seiner Feinde weitgehend geschützt, und das, obgleich im vorletzten Jahr sogar einer von ihnen, als harmlose Kuschelratte getarnt, sich innerhalb dieser Mauern aufhielt ("Harry Potter und der Gefangene von Askaban", Kapitel 19). Diesmal nahm einer der Übeltäter sogar die Gestalt eines Aurors an, der in der Muggelwelt einem hochrangigen Angehörigen des Verfassungsschutzes entspräche.
Viele von Dumbledores Kritikern mussten im Nachhinein zugeben, dass ihnen die entscheidende Lücke im Sicherheitsnetz auch nicht aufgefallen wäre. Der Pokal, den der Sieger des internationalen "Triwizard Tournament" ergreifen sollte, war ein "Portkey". Ein solcher Gegenstand transportiert jeden, der ihn anfasst, augenblicklich an einen vorherbestimmten Ort, und diese Eigenschaft ist von außen nicht erkennbar. Deswegen wählt man ja als Portkeys normalerweise Gegenstände, die niemand freiwillig anfasst. Da dieses Transportmittel eine Neuentwicklung ist (in den ersten drei Harry-Potter-Bänden war davon nicht die Rede), wurde ihr Missbrauchspotenzial nicht rechtzeitig erkannt.
Harry Potter wurde, nicht ohne Manipulationen von Seiten des falschen Aurors, einer von zwei gleichrangigen Siegern des Turniers. Beide landeten via Portkey auf einem Friedhof, wo Lord Voldemort sich aus einem Knochen seines Vaters, einer frisch abgehackten Hand seines Dieners und einigen Tropfen von Harrys Blut eine neue materielle Existenz zusammenkochte.
Bei näherer Analyse wird klar, dass das Versäumnis Dumbledores in einem grundlegenden Missverständnis der Zauberer über das Wesen ihrer eigenen Tätigkeit begründet ist. Im Gefolge ihres großes Lehrmeisters Isaac Newton (1643–1727), der sich die letzten zwanzig Jahre seines Lebens mit Alchemie und ähnlich verdienstvollen Dingen beschäftigte, fassen sie jede – auch magische – Wirkung als Nahwirkung auf. Das ist insofern richtig, als jeder Zaubertrank nur bei unmittelbarer Einnahme wirkt und Flüche und Verwünschungen in der Regel von Angesicht zu Angesicht ausgestoßen werden müssen. Natürlich kann die Anwendung spukhafter Fernwirkungen kein Schulstoff sein; die Wirkungen des Schülerübermuts wären unbeherrschbar. Aber Fernwirkungen sind dem Denken auch erwachsener Zauberer erschreckend fremd, und das, obwohl sie das Reisen mittels Flohpulver und das Verhexen Abwesender beherrschen. Etwas Quantenmechanik wäre da durchaus hilfreich.
Überhaupt zeigt das Buch eine beängstigende Ignoranz der magischen Welt gegenüber den Errungenschaften der Muggel-(Nicht-Zauberer-)Wissenschaft. Ein fast schon lächerliches Beispiel ist Arthur Weasley, der Chef der Abteilung gegen den Missbrauch von Muggelartefakten im Zaubereiministerium. Natürlich kann er selbst samt seiner vielköpfigen Familie mühelos ohne elektrischen Strom, Post und Telefon auskommen. Aber wenn er bei Harrys widerlichen Pflegeeltern durch den Kamin anreist und große Mengen zerbrochenes Mauerwerk und Ruß ins Wohnzimmer schleudert, bloß weil er einen nachgemachten, elektrisch betriebenen Kamin nicht von einem echten unterscheiden kann, ist das mehr als peinlich.
Es war mehrere Male zu beobachten, dass die von einem Zauberstab ausgehenden Wirkungen an glatten Oberflächen reflektiert werden – was in jedem Einzelfall die Beteiligten aufs Äußerste überraschte. Gleichwohl gehören bis heute noch nicht einmal die Anfangsgründe der Optik zum Schulstoff auf Hogwarts; ein schwerwiegendes Versäumnis, dem in letzter Konsequenz auch mein eigenes trauriges Schicksal ("Harry Potter und die Kammer des Schreckens", Kapitel 17) zuzuschreiben ist.
Schließlich kann ich nur dringend empfehlen, die Augen nicht vor der rasanten Entwicklung der Informatik zu verschließen. Die Muggels beharren zwar immer noch auf dem fundamentalen Irrtum, es komme auf die materielle Basis der Information nicht an. Dabei ist die Vorstellung einfach lächerlich, Ginny Weasley hätte ihre Seele an das Tagebuch des Tom Riddle – fast – verlieren können, wenn sie ihm ihre Geheimnisse mit einem gewöhnlichen Filzstift anvertraut hätte.
Aber die gewöhnlichen Menschen holen mit beängstigender Geschwindigkeit auf. Ihre neuesten Positionierungssysteme sind fast so gut wie die "Marauder’s Map", welche die Position jeder Person auf Schloss Hogwarts verzeichnet – auch unsichtbarer. Es gibt erste Meldungen im "Tagespropheten", nach denen die einfachsten Flüche bei Handybenutzern wirkungslos blieben; die Mobiltelefone auf Hogwarts einfach zu verbieten, wie Dumbledore das tat, ist nichts weiter als kurzsichtige Vogel-Strauß-Politik.
Vor allem aber wäre es wichtig zu wissen, wie ein Zauberstab einen anderen mit demselben Kern in einer spektakulären Lichtbogenreaktion zu einem core dump veranlassen kann. Im Zweikampf zwischen Harry Potter und Lord Voldemort lieferte der Zauberstab des Letzteren ein zeitumgekehrtes Protokoll (Spektrum der Wissenschaft 3/2000, S. 68) aller fünf damit begangenen Morde und gab Harry damit Gelegenheit, seinem Feind noch einmal zu entkommen.
Das nächste Jahr verspricht spannend und äußerst gefährlich zu werden. Harry Potter wird seine außergewöhnlichen Fähigkeiten bitter nötig haben, darunter als wichtigste "eine gewisse Neigung, Regeln zu missachten" ("Harry Potter und die Kammer des Schreckens", Kapitel 18). Meine gegenwärtige Position erlaubt mir zuzugeben, was Autoritätspersonen zu verschweigen pflegen.
Nachdem sich die erste Erregung gelegt hat, besteht nun kein ernsthafter Zweifel mehr daran, dass Lord Voldemort, der übelste aller Giftmischer und Schwarzkünstler, seine Macht wiedererlangt hat. Außerdem neigt man nach reiflicher Überlegung mehr und mehr der Meinung zu, dass Albus Dumbledore, dem Chef der Zauberschule Hogwarts, eine Vernachlässigung seiner Pflichten nicht vorzuwerfen ist.
Immerhin war es ihm gelungen, um das Gelände von Schloss Hogwarts eine passwordgeschützte firewall zu legen, die den raffiniertesten Attacken standhielt. Der Zauberlehrling Harry Potter, der soeben sein viertes Lehrjahr erfolgreich abgeschlossen hat, war innerhalb der Mauern vor den Nachstellungen seiner Feinde weitgehend geschützt, und das, obgleich im vorletzten Jahr sogar einer von ihnen, als harmlose Kuschelratte getarnt, sich innerhalb dieser Mauern aufhielt ("Harry Potter und der Gefangene von Askaban", Kapitel 19). Diesmal nahm einer der Übeltäter sogar die Gestalt eines Aurors an, der in der Muggelwelt einem hochrangigen Angehörigen des Verfassungsschutzes entspräche.
Viele von Dumbledores Kritikern mussten im Nachhinein zugeben, dass ihnen die entscheidende Lücke im Sicherheitsnetz auch nicht aufgefallen wäre. Der Pokal, den der Sieger des internationalen "Triwizard Tournament" ergreifen sollte, war ein "Portkey". Ein solcher Gegenstand transportiert jeden, der ihn anfasst, augenblicklich an einen vorherbestimmten Ort, und diese Eigenschaft ist von außen nicht erkennbar. Deswegen wählt man ja als Portkeys normalerweise Gegenstände, die niemand freiwillig anfasst. Da dieses Transportmittel eine Neuentwicklung ist (in den ersten drei Harry-Potter-Bänden war davon nicht die Rede), wurde ihr Missbrauchspotenzial nicht rechtzeitig erkannt.
Harry Potter wurde, nicht ohne Manipulationen von Seiten des falschen Aurors, einer von zwei gleichrangigen Siegern des Turniers. Beide landeten via Portkey auf einem Friedhof, wo Lord Voldemort sich aus einem Knochen seines Vaters, einer frisch abgehackten Hand seines Dieners und einigen Tropfen von Harrys Blut eine neue materielle Existenz zusammenkochte.
Bei näherer Analyse wird klar, dass das Versäumnis Dumbledores in einem grundlegenden Missverständnis der Zauberer über das Wesen ihrer eigenen Tätigkeit begründet ist. Im Gefolge ihres großes Lehrmeisters Isaac Newton (1643–1727), der sich die letzten zwanzig Jahre seines Lebens mit Alchemie und ähnlich verdienstvollen Dingen beschäftigte, fassen sie jede – auch magische – Wirkung als Nahwirkung auf. Das ist insofern richtig, als jeder Zaubertrank nur bei unmittelbarer Einnahme wirkt und Flüche und Verwünschungen in der Regel von Angesicht zu Angesicht ausgestoßen werden müssen. Natürlich kann die Anwendung spukhafter Fernwirkungen kein Schulstoff sein; die Wirkungen des Schülerübermuts wären unbeherrschbar. Aber Fernwirkungen sind dem Denken auch erwachsener Zauberer erschreckend fremd, und das, obwohl sie das Reisen mittels Flohpulver und das Verhexen Abwesender beherrschen. Etwas Quantenmechanik wäre da durchaus hilfreich.
Überhaupt zeigt das Buch eine beängstigende Ignoranz der magischen Welt gegenüber den Errungenschaften der Muggel-(Nicht-Zauberer-)Wissenschaft. Ein fast schon lächerliches Beispiel ist Arthur Weasley, der Chef der Abteilung gegen den Missbrauch von Muggelartefakten im Zaubereiministerium. Natürlich kann er selbst samt seiner vielköpfigen Familie mühelos ohne elektrischen Strom, Post und Telefon auskommen. Aber wenn er bei Harrys widerlichen Pflegeeltern durch den Kamin anreist und große Mengen zerbrochenes Mauerwerk und Ruß ins Wohnzimmer schleudert, bloß weil er einen nachgemachten, elektrisch betriebenen Kamin nicht von einem echten unterscheiden kann, ist das mehr als peinlich.
Es war mehrere Male zu beobachten, dass die von einem Zauberstab ausgehenden Wirkungen an glatten Oberflächen reflektiert werden – was in jedem Einzelfall die Beteiligten aufs Äußerste überraschte. Gleichwohl gehören bis heute noch nicht einmal die Anfangsgründe der Optik zum Schulstoff auf Hogwarts; ein schwerwiegendes Versäumnis, dem in letzter Konsequenz auch mein eigenes trauriges Schicksal ("Harry Potter und die Kammer des Schreckens", Kapitel 17) zuzuschreiben ist.
Schließlich kann ich nur dringend empfehlen, die Augen nicht vor der rasanten Entwicklung der Informatik zu verschließen. Die Muggels beharren zwar immer noch auf dem fundamentalen Irrtum, es komme auf die materielle Basis der Information nicht an. Dabei ist die Vorstellung einfach lächerlich, Ginny Weasley hätte ihre Seele an das Tagebuch des Tom Riddle – fast – verlieren können, wenn sie ihm ihre Geheimnisse mit einem gewöhnlichen Filzstift anvertraut hätte.
Aber die gewöhnlichen Menschen holen mit beängstigender Geschwindigkeit auf. Ihre neuesten Positionierungssysteme sind fast so gut wie die "Marauder’s Map", welche die Position jeder Person auf Schloss Hogwarts verzeichnet – auch unsichtbarer. Es gibt erste Meldungen im "Tagespropheten", nach denen die einfachsten Flüche bei Handybenutzern wirkungslos blieben; die Mobiltelefone auf Hogwarts einfach zu verbieten, wie Dumbledore das tat, ist nichts weiter als kurzsichtige Vogel-Strauß-Politik.
Vor allem aber wäre es wichtig zu wissen, wie ein Zauberstab einen anderen mit demselben Kern in einer spektakulären Lichtbogenreaktion zu einem core dump veranlassen kann. Im Zweikampf zwischen Harry Potter und Lord Voldemort lieferte der Zauberstab des Letzteren ein zeitumgekehrtes Protokoll (Spektrum der Wissenschaft 3/2000, S. 68) aller fünf damit begangenen Morde und gab Harry damit Gelegenheit, seinem Feind noch einmal zu entkommen.
Das nächste Jahr verspricht spannend und äußerst gefährlich zu werden. Harry Potter wird seine außergewöhnlichen Fähigkeiten bitter nötig haben, darunter als wichtigste "eine gewisse Neigung, Regeln zu missachten" ("Harry Potter und die Kammer des Schreckens", Kapitel 18). Meine gegenwärtige Position erlaubt mir zuzugeben, was Autoritätspersonen zu verschweigen pflegen.
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