Zwei Quadratmeter, zehn Kilo
Wer die Hochglanzwelt von Lifestyle-Magazinen und Werbeclips für echt hält, kann den Eindruck gewinnen, Hautpflegeprodukte wie teure Seifen, Cremes und Lotionen seien unverzichtbar. Und wem diese nicht reichen, der hilft gern zusätzlich mit Anti-Aging-Intensivprogrammen und/oder Solarien nach. Was dann noch übrig geblieben ist an natürlichem Umgang mit unserer Haut, zerstören Piercing-Studios. Yael Adlers Buch ist bestens geeignet, um jenseits all dieser Modetrends die biologisch-medizinischen Implikationen unseres größten Körperorgans zu beleuchten.
Adler ist Fachärztin für Haut-, Geschlechts- und Gefäßerkrankungen und hat eine Zusatzausbildung als Ernährungsmedizinerin. Kaum ein öffentlich-rechtlicher oder privater TV-Kanal, in dem sie nicht schon als Expertin für Hautgesundheit aufgetreten ist. Sie besitzt offensichtlich ein Talent, komplexe Zusammenhänge ebenso sachlich kompetent wie anschaulich unterhaltsam darzustellen – das zeigt sich auch im vorliegenden Werk.
Gewichtiges Gebilde
Mit bis zu zwei Quadratmeter Fläche und bis zu zehn Kilogramm Masse ist die Haut nicht nur das größte, sondern auch das schwerste unserer Organe. Sie bildet eine unverzichtbare Barriere zur Außenwelt, dient der Reizaufnahme, Temperaturregulation und Abwehr schädlicher Einflüsse. Mechanorezeptoren etwa ermöglichen uns, auf Berührungsreize zu reagieren; Hautpigmente schützen vor UV-Strahlung, Schweißdrüsen vor Überhitzung und Haare vor Wärmeverlust; und an besonders beanspruchten Stellen setzt eine Hornhaut die Verletzungsgefahr herab.
Adler erklärt zunächst, wie die verschiedenen Hautschichten aufgebaut sind, wie sich ihre Schädigung auf die jeweilige biologische Funktion auswirkt und was das für unser Wohlbefinden bedeutet. Ob Säureschutzmantel, Schuppen, Leberflecken, Dehnungsstreifen, Falten oder Cellulite: Zu jedem dermatologischen Thema kann die Ärztin Wissenswertes und zuweilen auch Vergnügliches berichten.
Ausführlich beschreibt sie die sichtbaren und weniger sichtbaren Spuren, die das Leben auf unserer derma hinterlässt. Das Spektrum reicht von Altersflecken über Fußpilz, Hautkrebs, Herpes bis hin zu Insektenstichen. Überzeugend führt die Autorin aus, warum bestimmte Lebensstile der Haut eher zuträglich sind, andere dagegen weniger. Manchen beliebten Schönheitsanwendungen erteilt Adler eine klare Abfuhr. Unmissverständlich verdeutlicht sie, dass das Aufspritzen mit Botox nur gerade noch akzeptabel ist – das Stechen von Tattoos aber quasi tickende Zeitbomben unter die Oberhaut installiert und somit an fahrlässige Körperverletzung grenzt.
Hautbild als Spiegel der Psyche
Hautschäden infolge bizarrer Modetrends lassen sich leicht vermeiden. Aber kann man vermittels bestimmter Lebensweisen auch Akne und Pickeln, Neurodermitis und dergleichen vorbeugen, oder diese abmildern? Adlers Darlegungen lassen diesen Schluss zu. Innerhalb gewisser Grenzen wirkt sich unser Lebenswandel offenbar auf die Haut aus. So zeigt die Autorin, dass viel mehr Hirn und auch Bauch in unserer derma steckt als gemeinhin angenommen. Wahre Schönheit und Gesundheit kommen in der Tat von innen. Emotionen und Neurosen, vor allem aber der Speiseplan machen die Haut zum Spiegel der Psyche: "Die Haut ist, was Du isst!" Daher empfiehlt Adler eine "Haut-Cuisine", die auf bestimmte Makro- und Mikronährstoffe setzt. Zudem präsentiert sie Belege dafür, dass liebevoller Sex nicht nur ein Jungbrunnen ist, sondern eines der wirksamsten Schönheits- und Gesundheitsmittel.
Aus seiner Haut kann bekanntlich niemand heraus. Sie zeigt uns und anderen, wie jung oder alt, erholt oder abgespannt, gesund oder krank wir sind. Zudem verrät sie etwas über unseren Gemütszustand. Angesichts dessen warnt die Autorin mehrfach vor übertriebener Körperpflege. Viele im Alltag verwendeten Hygieneprodukte seien nicht nur überflüssig, sondern bei regelmäßiger Anwendung sogar schädlich. Nichts ruiniere die Haut so nachhaltig wie kosmetisch motivierter Wasch- und Pflegewahn, kombiniert mit Solarienbesuchen. Adlers Empfehlung: "Wer der Haut wirklich Gutes tun will, sollte nicht zu viel tun."
Eine ebenso lehrreiche wie amüsante Lektüre, die buchstäblich unter die Haut geht. Denn Adler bietet en passant auch Tipps für eine gelungene Lebensgestaltung. Mehr kann ein dermatologisches Sachbuch nicht leisten.
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